12. Mai 2018

Wenn ich gerne für ein Recht auf billige Unterhaltung eintrete, dann meine ich damit den Genuß leicht dechiffrierbare Stoffe, deren Deutung vielfach bewährt ist und keine Fragen aufwirft, die schwer zu beantworten wären. Es muß mir selbstverständlich freistehen, solchen Stoffen ohne Rechtfertigung zuzuneigen.

Ich denke, das ist zum Beispiel die soziokulturelle Qualität von Kitsch. Das meine ich keinesfalls zynisch. Unsere Fähigkeit zur Wahrnehmung erzeugt einen nie erlahmenden Hunger. Mir scheint, Wahrnehmung ist so sehr konstituierender Bestandteil der Spezies Mensch wie der physische Stoffwechsel.

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Notwendigerweise leicht zu entschlüsseln, aber
auf jeden Fall ein komplexer Kommunikationsakt

Bricht der Metabolismus ab, so endet das Leben. Ich vermute, mit der Wahrnehmung verhält es sich ebenso. Daher müssen auch im Bereich des Immateriellen alle Arten Kost verfügbar sein, damit wir nicht darben.

In diesen Zusammenhängen ist dann die Frage nach Qualität an die Frage nach belebender Wirkung geknüpft. So unterschiedlich sich Menschen Belebung vorstellen, wünschen, Belebung erfahren, so unterschiedlich wären dann auch die Qualitäts-Zonen und Qualitäts-Kategorien. Ich kennen keine guten Gründe, das einzuengen.

Wer das alles nach einem einzigen Schema abhandeln und ordnen wollte, würde nicht nur mit Kriterien und Kategorien so reichlich zu tun haben, daß sich aus all dem vermutlich keine brauchbaren Aussagen mehr ableiten ließen. Es kämen dabei auch soziokulturelle Konfliktlagen in Gang.

Ich brauche niemanden, der mir aus entlegener Warte zuruft, was er oder sie aufgrund tiefergehender eigener Geschmacksbildung vorzieht und mir daher im Austausch für meine Liebhabereien empfehlen möchte.

In diesem Sinn nehme ich an, daß meine Position auf die gleiche Art für andere Menschen entlegen ist, die ihre eigenen Vorlieben schätzen und nicht gegen meine austauschen würden. Wo man entspannt darüber nachdenkt, könnte man zum Schluß kommen: Ah, so geht Diversität! Darauf kann keine Kultur verzichten, falls man ständische Hierarchien oder andere Arten von Anmaßung vermeiden möchte.

Die Geschichte der Volkskunde und Volkskultur handelt bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ganz energisch von Menschen, die sich Mündel suchen, um sie im Kulturellen zu bevormunden. Das gesamte Bildungsbürgertum hat uns solche Erfahrungen beschert. Die bürgerliche Repräsentationskultur, wie wir sie heute noch besichtigen können, ist auch (unter anderem) Ausdruck solcher Hierarchienbildung, ist ein quasi ständisches Phänomen.

Der Kulturbetrieb als Distinktions-Maschine.

Das hat seit der Renaissance eine spezielle Färbung. Ich denke, Cosimo de' Medici ist der prominenteste Machtpragmatiker jener Ära, an dem man bestaunen kann, mit welcher Brutalität er seinen "Familienbetrieb" etablierte und führte, indem er zugleich zu einem sublimen Kunstkenner wurde, dessen Rat in derlei Dingen enorm gefragt war, während er die Kombination Kennerschaft, (beauftragte) Kunstproduktion und Kunstpräsentation höchst effizient als politischen Werkzeugkasten nutzte.

Die Geschichtsschreibung nennt auch Federico da Montefeltro als einen auf die Art kunstbeflissenen Machtmenschen und Condottiere, dessen berühmtes Portrait in den Uffizien ihn provokant im Profil zeigt. Das verschleiert und offenbart zugleich Erfahrung des reich gewordenen Söldnerführers in Waffengängen.

Dieses Portrait, Teil eines Diptychons, stammt übrigens von Piero della Francesca, was die hochrangigen künstlerischen Zusammenhänge illustriert.

Eigentlich mag ich dieses Gefühl, das Kunst nicht in Unschuld gebadet ist. Damit verbietet sich ein Mißbrauch der Kunst zugunsten von Heilsversprechen. Sendungsbewußtsein muß an der Kunst als zu glatt abrinnen.

Wir sind und bleiben aufgefordert, unsere Gründe zu nennen, unsere Intentionen offenzulegen, denn die Kunst eignet sich nicht als langfristige Tarnvorrichtung.

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Federico da Montefeltro, gemalt
von Piero della Francesca

Ich denke, das kommt unter anderem, weil die Wahrnehumgserfahrungen mit Kunst irgendwann immer dazu führen, daß man Chiffren entschlüsseln kann, mit denen sich jemand als verschlüsselt hervorgetan hat.

Das haben die Kunst, die Propaganda und die Dekoration ja an einigen Stellen gemeinsam, das ist mit dem Kitsch nicht anders. Sollten oder müssen gar diese verschiedenen Genres zueinander hierarchisch angeordnet sein? Das scheint verlockend, aber es überzeugt mich nicht.

Und würde es denn nicht ohnehin reichen, all das gemäß den eigenen Vorlieben anzuordnen, weshalb es dabei keiner Hierarchie bedürfte? Solche Fragen beschäftigen mich, wo ich Berührungspunkte zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst untersuche.

Es scheint mir, als müßten auf dieser Ebene keine weiteren Genres angeführt werden, denn man könnte Dekoration, Kitsch und Propaganda als Mischformen dazustellen, ohne dabei in Erklärungsnotstände zu geraten.

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Aschenbecher im Büro für Pessi.mismus

Um solche Themen geht es heuer bei unserem Kunstsymposion, das unter dem Titel "Interferenzen" steht. Dazu wird der "Flying Circus" einige Impulse liefern. Dazu werde ich mich in einem Teilbereich mit Fotograf Richard Mayr auseinandersetzen: [link] Das verweist aber auch schon auf einen Arbeitsbereich, zu dem wir aus dem "Kulturbüro Stainz" angeregt wurden und das ich im Rahmen von "Dorf 4.0" entwickeln möchte: "Wegmarken" (Klein- und Flurdenkmäler)

-- [Kunstsymposion] --

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