13. Juni 2018

Über den Papieren zu hocken und an Texten herumzudrehen ist eine Sache. Die Eindrücke und Informationen dann an der Realität zu überprüfen, das kann einem die Plomben lockern. Ich hab nun eine Weile damit zugebracht, meine Annahmen über den Steyr-Puch Haflinger jenen Menschen vorzutragen, die seinerzeit beruflich mit diesem Fahrzeug befaßt waren, wie auch jenen, die ihn heute am Laufen halten.

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Robert Harrer mit einem Unikat aus den Grazer Lehrwerkstätten

"Neigt der auch recht schnell zu Standschäden?" fragte ich Robert Harrer, Schrauber, Sammler, Puch-Pilot. "Naja, die Dichtungen und so." Das ist bei alten Automobilen ähnlich wie bei einer Stradivari. Wenn man sie ungenutzt in eine Vitrine wegsperrt, gehen sie kaputt. Die Stradivari muß gespielt, das Auto muß bewegt, gefahren werden.

Es ist übrigens keinesfalls abwegig, hier anzudeuten, der Haflinger sei quasi die Stradivari unter den Geländewagen. Und ich meine Geländewagen im eigentlichen Sinn, keinen SUV, also ein Sport Utility Vehicle, eine fahrende Blockhütte, der es nicht gleich auf dem erstbesten Feldweg die Ölwanne wegreißt.

Die ÖGHK hat den Begriff "Rollendes Kulturgut" geprägt und läßt wissen: "Wir bewegen Tradition". Das erscheint nach meiner Erfahrung manchen Liebhabern einer bürgerlichen Repräsentationskultur etwas provokant. So verhält es sich übrigens auch mit dem Genre Volkskultur in der technischen Welt.

Ich hab inzwischen etliche Volkskultur-Liebhaber erlebt, die sich diesem Thema völlig verschließen. Das erhellt sich etwas, wenn man bedenkt, was jene Volkskultur, die uns vertraut erscheint, mindestens seit dem 18. Jahrhundert war. Nämlich ein spezielles Feld, auf dem sich ein aufsteigendes Bildungsbürgertum Mündel gesucht hat, die sich kulturell bevormunden lassen würden.

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Dem steht gegenüber: Eine Kultur der breiten Bevölkerung löst sich hauptsächlich darin ein, daß die Menschen sich nicht von oben oder von außen her zurufen lassen, was dabei wichtig sei und wie das gelebt werden solle. Ich bin überzeugt, daß Volkskultur außerdem kaum das sein kann, was uns die Unterhaltungsindustrie anbietet.

Diese Annahme sehe ich unabhängig von der Popularität des Angebots via Massenmedien und aus dem Event-Betrieb. Der Einfluß von solcher Seite steht außer Frage und muß -- gemäß meiner Annahme -- unbeeinsprucht bleiben. Volkskultur braucht keine Zurufe, was gepflegt werden müsse und was nicht.

Zu diesem Autonomieprinzip darf vielleicht noch die Partizipation als Kriterium zugerechnet werden. Demnach verliefe eine allfällige Trennlinie zwischen dem Maß an a) Partizipation und b) Konsumation. Ich denke, man kann noch vor einer kulturgeschichtlichen Betrachtung feststellen, daß sich volkskulturelle Qualität dort zeigt, wo eine Kombination von Selbstbestimmung und Kompetenz auftaucht. Das legt wie von selbst einen speziellen Fokus auf eigenes Handeln und auf Partizipation.

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Langer Radstand, Sechssitzer, zweite Generation

Hier überlappen sich also verschiedene Themen-Felder. Am Steyr-Puch Haflinger finde ich derzeit zunehmend bestätigt, daß er eine Jahrhundert-Konstruktion ist, die eine gut dokumentierte Vorgeschichte hat und zugleich eine Ära abschließt. Was mir der ehemalige Werksdirektor Egon Rudolf in einen Gespräch darlegte: Man braucht heute keine Automobile mehr, die so weitreichend geländegängig sind, wie es der Haflinger ist.

Der Hafi ist also das technische Artefakt einer versunkenen Ära, zugleich deren Spitzenprodukt, aber auch bis in die Gegenwart ein leistungsfähiger Offroader. Darin bündelt sich eine Entwicklungsgeschichte, die einen zentralen technischen Teil hat, welchen ich hier skizziert habe: "Der Blechdackel" (Vom Tatra 11 zum Steyr-Puch Haflinger)

Aber was hat das alles mit regionaler Kulturarbeit zu tun? Ich erinnere an meine Grundannahme: Ausnahmslos jeder Mensch hat spirituelle und kulturelle Bedürfnisse, setzt das entsprechend der Lebensbedingungen, Interessen und Neigungen um. Das war einst unter uns Menschen zum Beispiel in der Kategorienfestlegung a) Hochkultur und b) Volkskultur, wahlweise a) Wertvolles und b) Schmutz & Schund hierarchisch angeordnet.

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Das korrespondiert auch mit einer Hierarchie der Stände (im Ständestaat), mit Konzepten gesellschaftlicher Schichten, wobei machen als höherstehend und manche als "untere Schichten" markiert weren.  Das hat seinen Bezug zu einer Art Hierarchie des Rechts auf Unmutsäußerung. (Wer darf sich über wen auslassen, an wem austoben? Wer darf wen anschnauzen?)

Wir haben bei unserer Kulturarbeit inzwischen diesen tragfähigen Bogen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst, der aber eines nicht erträgt: Daß man Kultur als Distinktionsmaschine benutzt, um sich gegenüber anderen Milieus hervorzuheben, herauszustellen.

Genau das, diese Methode der Selbstdefinition durch Feindmarkierung ist übrigens auch eine Grundzutat des Nationalismus, der Europa derzeit so belastet, wo es seit vielen Jahrzehnten keine "nationale Wirtschaft" mehr gibt und Europa seinen alten Vorsprung an Wissen und Technologie schon längst verspielt hat. Das sind ein Paar der triftigen Gründe, weshalb meiner Meinung nach Wissens- und Kulturarbeit dringend neue Aufgabenstellungen braucht. Das führt zur Frage: Was ist derzeit eine gute Frage?

-- [Der Haflinger] --

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