12. Juli 2018

Um Haltung zu zeigen, muß man eine Haltung haben. Klar? Klar! Und das Wasser ist naß. Der Papst ist katholisch. Oder bedarf es doch näherer Betrachtung? Der Mensch, ein geselliges Wesen, genauer: ein Wesen, das es vorzieht in Gemeinschaft zu leben. So meinte es Aristoteles mit dem Zoon politikon.

Dieses Gemeinwesen kennen wir als Rahmen für allerhand Hierarchien, als Sammelsurium der Anordnungen. Wer ist drinnen, wer ist draußen? In meinen Jugendtagen war das ganz gut ersichtlich. Musikgeschmack, Dress Code, Lesegewohnheiten, Jargon, Fahrzeuge. (Es war übrigens auch ein Statement, Southern Comfort zu trinken.)

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Vor etwa zwei Jahren sah ich bei einer Vernissage einen Youngster im Parka, auf dessen Rücken WHO stand. Nein, kein Philosoph, der eine Daseinsfrage stellt, sondern ein Mod. Dieses Kürzel stand einst für Modernist, was die Angehörigen einer Jugendkultur bezeichnete, die sich zum Beispiel in der Musik von The Who gut getroffen fanden und Scooter fuhren; vorzugsweise aufgebrezelte Vespas und Lambrettas.

Für mich waren in diesem Lebensabschnitt Scooters völlig undenkbar, keine ernstzunehmenden Fahrzeuge. Ich bin ein Greaser Boy gewesen, der Motorräder fuhr, die gleich alt waren wie ich. Hier zum Beispiel meine damalige Connie, eine NSU Consul (Fünfhunderter-Einzylinder). Motorradfahren war in den 1970ern noch ein sozialer Nebenschauplatz mit dem Geruch: Kann sich kein Auto leisten.

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Haltung. Muß die kommuniziert werden? Das hilft jedenfalls bei der Orientierung. Erkennen können: Wer gehört zu uns und wer nicht? Derlei war gestern bei unserer Pop-Konferenz kurz Thema. Künstler Christian Wabl würde es vorziehen, daß heute noch, wie einst, sehr viel klarer klarer Flagge gezeigt würde. Aber geschieht das nicht ohnehin? Es hat bloß in der aktuellen Mediensituation andere Kommunikationsformen angenommen.

Facebook ist da sehr anschaulich. Manche Menschen haben längst einen enormen Überhang an Katzenfotos abgeliefert. Bei anderen dominieren fein aussehende Speisen die Timeline. Außerdem zeigt sich eine nicht enden wollende Flut an "Weisheiten" über vorwiegend kitschige Memes.

Vieles davon erbauliches Geschwurbel. Manches davon gefälschte Zitate. Goethe, Kafka und Konsorten müssen sich Sätze unterschieben lassen, deren Sprachduktus die Fälscherwerkstatt als Quelle verrät.

Gängige "Spitzenweisheit" könnte man immerhin noch als aktuelles Beispiel für Volksfrömmigkeit halten. Ein Feel good-Spruch ohne jeglichen Erkenntnis-Nutzen tut's da allemal.

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Quelle: Facebook, 5.1.2016

Und schon bin ich wieder bei unserer Pop-Konferenz. Aus welchen Quellen schöpft die Popkultur? Das Wort Folklore, wie es auch in der Musik vorkommt, bedeutet Volksweisheit. Den Anspruch, weise zu sein, assoziiere ich mit Herrschaftswissen, also mit einem Vorteil von Minoritäten gegenüber einer Bevölkerung. Geht es um solche Fragen? Und was wird dabei aus dem von mir gerne proklamierten Recht auf billige Unterhaltung?

In meinem Leben ist Weisheit keine relevante Kategorie. Mit der Frage nach Klugheit sieht das schon anders aus. Nebenbei reden wir dann auch über Definitionsmacht und Definitionshoheit. Ich nehme an, dann wäre unbedingt über Kategorien wie Landesbrauch und Common Sense nachzudenken.

Kleiner Einschub: 1984 erschien das Album "Stop Making Sense" von den Talking Heads. Der Refrain des Titelsongs lautet: "Stop making sense / Quit talking / Stop making sense / Start falling / Stop making sense / Hold onto me / You’re always at your best / When you’re not making sense."

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Sir Oliver Mally

Eine verführerische Empfehlung, die sich an buddhistischen Koans ebenso überprüfen ließe wie an Dada. Die Skepsis gegenüber Vernunft und Common Sense hatte ihnen aber vor allem der Punk vorgehüpft. Rund ein halbes Jahrzehnt früher war von den Sex Pistols eine Vorstellung von "The Great Rock 'n' Roll Swindle" thematisiert worden. So ihre Erfahrung mit einer Major Company: "E.M.I. said you are out of hand / And they gave us the boot / But they couldn't sack us, just like that / Without giving us the loot."

Mit den Konzernen der Unterhaltungsindustrie ist es ein wenig wie mit der katholischen Kirche. Die hat noch jede Reformbewegung geschluckt, wie etwa diverse Bettelorden, die durch ihren kargen Lebenswandel gegen den Prunk der Kirche aufbegehrten. Der kluge Kleriker weiß, daß der Häretiker eine erfrischende Wirkung auf die alte Firma hat. Ich denke, es ist im Musik-Business ähnlich.

Das macht dann auch so interessant, wodurch etwa Sir Oliver Mally seine musikalische Laufbahn entfaltet und seine Existenz sichert, denn er hat darauf verzichtet, sich für große Labels marktfähig zu bürsten. Mally zieht es vor, autonom zu bleiben. Ein Modus, den er einfach praktiziert, ohne ihn wie ein Banner vor sich herzutragen.

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Das bringt mich zur Frage: Was ist eigentlich die Referenz-Fläche für Underground? An welcher Kultur bestimmt die Subkultur ihre Position? Und stets auch die Frage unter Kunstschaffenden: How to make a living?

Zwei von diesen drei Fragen werden unwesentlich sein, wenn man seine künstlerische Rolle ohne große Marken/Markierungen zu gestalten versteht. Das ökonomische Überleben bleibt immer ein brisantes Thema, und zwar für alle Arten von Freelancers. (Genau! Das Wasser ist naß. Der Papst ist katholisch.)

Was uns an politischem Geschehen vertraut ist, wie es durch politische Parteien bewegt wird, unterliegt derzeit mächtigen Erosionen. Der frappante Rechtsruck Europas bestätigt das, weil in der Renationalisierung keinerlei Kraft zur Zukunftsfähigkeit liegt.

Hat das auch seine Entsprechungen im Kulturbetrieb? Läßt sich das an kulturpolitischen Entwicklungen ebenso feststellen/darstellen? Mir scheint einmal mehr wichtig, nun zu fragen: Was ist eine gute Frage?

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