10. Oktober 2018

Wie sich Konnotationen verschieben. Piazza dei Miracoli klingt heute, als wäre es eine Marke für Fertigsoßen, die man über Nudeln kippt. Es war übrigens D'annunzio, der die Piazza so benannte: Platz der Wunder. Der Dom Santa Maria Assunta mit seinem schiefen Campanile, die riesige Taufkirche, die Friedhofsanlage.

log2540a.jpg (51653 Byte)

Illustration aus: "Italy from the Alps to Mount Etna" (1877)

Ich stand dort zuletzt vor einigen Jahren auf einer Motorrad-Tour. Pisa. Dessen Honoratioren hatten im 11. Jahrhundert Siege gegen die vordringenden Muslime errungen, sich auch in Konkurrenz zu Venedig und Genua bewährt. Das drückt sich in diesem Ensemble von Basuwerken aus. Politische und wirtschaftliche Macht sind immer nur ein Teil der Geschichten. Das Kulturelle verdankt sich zuweilen blutigen Händen.

Was die Fassade des Doms betrifft, schrieb Thomas R. Hoffmann in seinem Buch über "Die Kunst in der Romanik", sie lasse "einen Einfluss von östlichen Vorbildern erkennen". Mehr noch: "Hier klingt als Vorbild die Architektur des Vorderen Orients an, bezüglich der Streifenmuster wurde aber auch auf nordafrikanische Moscheen als Vorbilder hingewiesen."

Ein kleines Beispiel unter ungezählten. Eine Hinweis darauf, daß wir in Europa eine lange Geschichte der nach innen und nach außen gerichteten Konfrontationen haben, wo es um politische und wirtschaftliche Macht geht. Aber kulturell ist dieses Europa seit einigen tausend Jahren die Frucht des Austausches mit den morgenländischen Kreisen. Mag der Machtkampf kulturelle Optionen mißbrauchen, ein Kulturkampf ist er deshalb nicht, sondern eben ein Machtkampf, der sich mit Kultur bemäntelt.

Wer das für Wortklauberei hält, ignoriert die Wechselwirkung zwischen Begriffen und Denkweisen. Das macht dieses Framing der öffentlichen Debatten mit dem Begriff "Kulturkampf" so unerträglich. Eine schlampige Deutung der Kämpfe von Ideologien, die wir neuerdings wieder in härteren Versionen erleben. Dieses verbreitete Phänomen, mit dem sich allerhand Unschärfen zu Fragen von Kultur und Kunst breit machen.

log2540b.jpg (22050 Byte)

Vor etwa einem Monat begann hierzulande das Rumoren um einen angeblichen "Kulturkampf im Klassenzimmer", der uns zweierlei auferlegt hat. Erstens die Frage nach den aktuellen Problemlagen in manchen Schulen, vor allem in Landeszentren, denn aus der Provinz höre ich keine vergleichbaren Berichte. (Da werden andere Problemlagen betont.) Zweitens die Frage nach unserem Umgang mit Europas Konfrontationen, die sich aus einer aktuellen Zunahme muslimischer Bevölkerungsanteile ergeben. Siehe dazu die Notiz vom 15.9.2018!

Ich staune seit Jahren über das schwächelnde Selbstbewußtsein einheimischer Kulturliebhaber, die sich lautstark um eben diese Kultur sorgen, ohne dabei ausreichend deutlich zu machen, wovon sie da eigentlich reden.

Daß äußert sich inzwischen längst auch in einem, Kulturbetrieb, welcher in der Provinz zum Beispiel einen speziellen Boom der Kulinarik erlebt. Kunst und Kulinarik, Kultur und Kulinarik, mir fehlt derzeit grade noch Andacht und Kulinarik. Wir wollen es also schön gemütlich haben, zugleich den Umstieg in die Vierte Industrielle Revolution schaffen und die Bewältigung der gewaltigen Erosionen europäischer Glaubenskonzepte? Und das ganz entspannt bei gutem Essen?

Der Katholizismus wackelt. Die Orthodoxie haben wir ohnehin seit jeher ignoriert. Die Protestanten konnten wir via Gegenreformation auf eine vernachlässigbare Größe dezimieren. (Davon haben sie sich nie mehr erholt.) Dem Judentum, einer gleichermaßen harten spirituellen und intellektuellen Herausforderung, stellen wir einen rasant ansteigenden Antisemitismus entgegen. (Die alten Drohgebärden erweisen sich schon wieder als wirksam.) Und vor dem Islam fürchten wir uns demonstrativ. Das schafft innenpolitische Manövriermasse. Und den konkreten Problemen wird vor allem mit den Ruf nach rigoroseren Gesetzen, Maßnahmen, Reglements begegnet.

Das ergibt in Summe ziemlich ärmliche Reaktionen auf aktuelle Veränderungsschübe. Wie angedeutet, ein innenpolitisch gut bewirtschaftbares Feld. Bleibt es daher eine Sache von Nischen, wenn wir uns mit unserer eigenen Kultur wieder etwas gründlicher vertraut machen?

Mir ist das noch nicht ganz klar. Aber immerhin zeichnet sich wieder deutlichere Unterscheidbarkeit ab, was eher auf Geselligkeit zielt und was den Fragen nach einem aktuellen Verständnis von Kunst und Kultur gewidmet ist; auch dort, wo es sich in verschiedenen Mischformen ereignet. Das führt einmal mehr zur Überlegung: Was ist eine gute Frage?

-- [Spurwechsel] --

[kontakt] [reset] [krusche]