5. November 2018

Ich hab im vorigen Eintrag erwähnt: "Kartoffel, Polenta und Reis gehören zu den Standards in meinem häuslichen Vorrat." Das hat durchaus etwas Nostalgisches. Bei meinem Interesse an der Frage, was denn eigentlich Volkskultur sein solle, das Volk und all diese Zuschreibungen, mit denen inzwischen ja Wahlen gewonnen werden, stecke ich seit Jahren tief in unserer Sozialgeschichte.

log2548a.jpg (11628 Byte)

Jüngst war auch zu erwähnen: "Es heißt, die Kartoffel habe bei uns die Edelkastanie als bevorzugte Stärkefrucht verdrängt..." Nun möge man sich vorstellen, wie karg der Tisch subalterner Schichten in der agrarischen Welt gedeckt war. Fleisch blieb die seltene Ausnahme, frisches Fleisch gab es sowieso nur am Schlachttag. Es konnte kaum konserviert werden. Aber davon fiel wohl eher nichts für die Dienstboten ab.

Frühstück, das hieß einst: Suppe. Oder Mus. "Muass" hab ich einen Bergbauernsohn sagen gehört. Ein Getreidebrei, oder von Gemüse. Suppen und Breie waren das kulinarische Hauptereignisse der breiten Bevölkerung. Schließlich kam (längst vor den Kartoffeln) noch der Sterz daher. Polenta. Und sonst? Viel Kraut und Rüben. (Kurios, daß uns diese Begrifflichkeit als Redensart erhalten geblieben ist, auch wenn sie in diesem Zusammenhang aus unseren Küchen verschwunden ist.)

Sauerkraut und Grubenkraut waren die Produkte von Konservierungsverfahren. Das Grubenkraut ist fast völlig von unseren Speisezetteln gelöscht. Sauerkraut hat sich gehalten und wird gerne mit Geselchtem kombiniert. Diese Art von geräuchertem (geselchtem) Fleisch entstammt ebenfalls einem alten Konservierungsverfahren.

Zu trinken gab es meist nur Wasser. Bier oder gar Wein hätte man kaufen müssen, dafür fehlte den Menschen mehrheitlich das Geld. Erst als der Obstbau ausreichenden Ertrag brachte und die Herrschaft zum Beispiel etliche Apfel- und Birnensorten nicht auf ihren Tafeln haben wollten, weil sie ihnen zu schäbig erschienen, kam die Mostproduktion voran.

log2548b.jpg (12307 Byte)

Nun muß man sich das im Zusammenhang vorstellen. Dem Proletariat blühten hauptsächlich karge Speisen, viel von Getreide und Obst, Brot von schlechtem Mehl, kaum je Fleisch. Und immer eher zu wenig, nie zu viel. Dann aber fallen Edelkastanien von den Bäumen, die geröstet werden, so ein wunderbares Geschmackserlebnis entfalten, vor allem auch jene Süße, die man sonst nur mit Zucker erreicht hätte, der auch den meisten Leuten unerschwinglich blieb, oder Honig, der ja nicht einfach auf den Bäumen wuchs.

Mit dem größeren Obstertrag konnte sich der Most als Haustrunk durchsetzen, welcher schließlich auch den Dienstboten zukam; und zwar endlich nicht mehr bloß als Wasser-Aufguß von Preß-Resten. Nun aber Sturm. Traubenmost. Noch recht viel Zucker, aber doch schon Alkohol. Ein Getränk von sensationeller Süße.

Dazu die intensiv schmeckende Kastanien. Es muß für die Menschen der alten agrarischen Welt fast ein Schock gewesen sein, vor allem aber ein radikales Vergnügen, wenn ihnen sowas auf den Tisch kam. Diese Geschmacksexplosionen im Mund und die sanfte Trunkenheit nach einigen Gläsern Sturm...

[kontakt] [reset] [krusche]