1. Jänner 2019

Die Konjunkturen der Ansichten und Handlungsweisen. Wie und wodurch entsteht Zustimmung? Warum sollte ich mich jemandem anschließen, wenn ich der Person nicht zustimme? Nun könnte mir eine Debatte nützen, um Klarheit über offene Fragen zu erlangen. Aber was, wenn Debatten vor allem dazu geführt werden, sich von anderen bestätigen zu lassen?

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Ich hab an dieser letzten Nacht des Jahres 2018 sehr gemocht, Gespräche mit Menschen zu führen, die offenbar voller Neugier für sich selbst und andere sind. Da werden Debatten kein Herausmeißeln von Hierarchien, sondern das Erkunden einiger Winkel dieser Welt. Ich finde dieses Wort übrigens sehr schon, das Erkunden.

Es erinnert mich an die Wortwahl einer alten Bäuerin, die ich im Zimmer einer chirurgischen Abteilung kennengelernt hatte, da ihr Sohn und ich Bettnachbarn auf der Intensivstation gewesen waren. Man sah ihrem Gesicht an, daß ihr Leben wenig Gefälligkeiten kannte. Als sie mir sagte, sie habe Post erhalten, meinte das nicht eine Gabe des Briefträgers, sondern, wie ich erfuhr, eine mündlich überbrachte Nachricht vom behandelnden Arzt.

Dabei sei ein Irrtum geschehen und man habe ihr auch meine Verletzungen als die ihres Sohnes mitgeteilt. Nun möge ich bitte nicht böse sein, aber sie wäre froh, daß ich die habe und nicht auch noch ihr Bub, den es so schon ganz übel erwischt habe. Ein kleiner Ausgleich des Schreckens.

Mein Faible für antiquierte oder sonst wie unübliche Ausdrucksweisen hat mir schon manchen Spott eingebracht. Davon bleibt unbehelligt, was der Klang von Worten an eigenständigen Wirkungen hat, auch ganz losgelöst vom Bezeichneten. Ich hab eben eine kleine Rezension des Buches "Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart" verfaßt, worin der Volkskundler Günther Jontes unter anderem alte Texte zitiert. So wird zum Beispiel in einem Küchenbuch von 1613 allerhand eßbares Geflügel aufgezählt. Und das klingt so: „Hiener, junge Hiendl, Cappauner, Gäns, Anten, Tauben, Haustauben, Cranabet Vögl, Vasan, Rebhendl, indianischer Hahn, Haßlhiener, Lerchen“. Eine gefällige Melodie. (Wie klingt denn Sprache auf der Höhe der Zeit? Wie spricht man zeitgemäß? Wozu sollte ich mir selbst voraus sein, falls das ginge?)

Wir erzählen einander die Welt. In dieser Grundsituation menschlicher Gemeinschaft zeigen sich Sprachregulierungen als wenig nützlich. Wenn mein Wortschatz heute Jahrzehnte der Lektüre maßgeblicher Literatur erklingen laßt, gibt mir das dann mehr Gewicht als der Bäuerin ihre Sprechweise, da sie "Ich hab Post erhalten" sagt, statt "man hat mir mitgeteilt"? (Mich überzeugt das nicht!)

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Aber zurück zur letzten Nacht des Jahres 2018. Wir haben uns kurz über den Dreißigjährigen Krieg unterhalten, Dazu möcht man fragen: Was hat der anmaßende Schwedenkönig eigentlich in Wien gewollt? Und was mit den über tausend Kilometern dazwischen? Was meinte er, da zu erreichen und was glaubte er dann halten zu können? Warum konnte übrigens der unangenehme Habsburger seine Völker in so viel Unglück stürzen. Wie reich wurde Wallenstein und wie viele tausend Bauersleute mußten dafür hungern, bluten, untergehen?

Wenn mir das heute als ein Glaubenskrieg angedient wird, als ein Ringen zwischen Katholiken und Protestanten, dann sind mir das so Gläubige, wie die ISIS-Moslems. Der Zynismus solcher Konzepte, das Ungeheuerliche mit passender Ideologie zu bemänteln, läßt sich an Erbärmlichkeit nicht übertreffen.

Muß ich annehmen, daß diese Anmaßungen Vergangenheit sind, daß mir heute in der Politik derlei Überheblichkeit nicht begegnen könnte? Lächerlich! Die Lampenputzer, Grinsekatzen und Händeschüttler sind nicht aus der Mode gekommen. Aber was an Deutungshoheit zu vergeben ist, hat aktuell andere Rahmenbedingungen. Nun ist im Augenblick nicht gar so ermutigend, was die Social Media uns an Filterblasen und Echokammern zur Verfügung stellen. Aber sagt das wirklich viel über unsere Möglichkeiten seriöser Debatten und Darstellungen aus? War das in früheren Zeiten grundsätzlich anders, womöglich besser geordnet?

Ich glaub es nicht. Und statt über den Stand der Dinge zu lamentieren, kann ja all das auch genutzt werden, was an Möglichkeiten vor uns liegt; daß wir uns zum Beispiel ausreichende intellektuelle Selbstachtung sichern und den Wissenserweb nicht scheuen, um die Welt stets neu zu erzählen.

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