14. Februar 2019

Wir haben eine Konvoi! Das hat ein Weilchen gedauert, doch jetzt fährt die Angelegenheit. Nun konnten sich die verschiedenen Wege und Möglichkeiten passabel herauskristallisieren. Der Hintergrund? Ich sehe die Schnittstellen von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst nicht als Grenzen, schon gar nicht mit Mauern besetzt. Ganz im Gegenteil.

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Ich bin überzeugt, daß hier - wie in einem neuronalen Netz - erstens Informationen hierarchiefrei hin- und herlaufen, zweitens in genau diesem Wechselspiel Momente und Klarheiten entstehen, die nicht individuell von jemandem intendiert waren. Genau das finde ich so interessant daran. Genau das halte ich für eine wesentliche Quelle künstlerischer Vorkommnisse.

Das heißt, ich sehe hier ein Feld der Autopoiese. Eine Kategorie menschlichen Daseins und so auch künstlerischer Praxis, die man bestenfalls unterschätzen kann. Moderat ausgedrückt: eine still wirkende Instanz von großer Wucht, die dabei nie besondere Wellen schlägt, aber sich ununterbrochen ereignet.

Ich nehme an, die weit verbreitete Unkenntnis solcher Vorgänge bietet einen wesentlichen Anlaß für gängige Ressentiments gegenüber der Gegenwartskunst und ihrem lebhaften Völkchen. Sie kennen den Ausdruck solcher Abschätzigkeiten gewiß in dieser oder jener Form. "Was? Und für die paar Stricherln will er auch noch Geld?"

Das verwechselt nicht bloß soziale Kategorien (Broterwerb) und jene der Kunst. Das ignoriert die komplexe Wissensarbeit. Das negiert schöpferische Tätigkeit im Bereich geistiger Prozesse. Das nimmt auf schlampige Art allerhand Ergebnisse als simpel und gegeben an, die aber erarbeitet werden müssen. Ich möchte diese abschätzigen Posen gar nicht als "antiaufklärerisch" werten. Wer etwas ignoriert, also gar ich wahrnimmt, kann sich ja schwer dagegen aufstellen.

Als Künstler pralle ich natürlich mit einiger Regelmäßigkeit gegen solche Ignoranz. Das wäre noch kein so großes Problem. Wirkmächtige Probleme entstehen dabei erst, wenn sich aus der Ignoranz heraus Anmaßung erhebt. Der Ahnungslose wünscht ja zu verstehen, also behauptet er zu wissen. Da er aber die Mühen des Wissenserwerbs ausschlägt, erscheint die Anmaßung als verlockende Option. Dieser Anmaßung gesellt sich gerne ein angriffslustiges Exekutivorgan hinzu: die Abwertung anderer.

Der Intelligenzler, der Hirnwichser, der Elitäre, der Abgehobene, Das sind nur einige von den blumigen Zuschreibungen, die dabei zum Einsatz kommen. Wo sich jemand mit solchen Mitteln von einem Milieu, einer bestimmten Zugehörigkeit abgrenzt, bleiben die Situationen überschaubar. Knifflig wird es beim ebenso bewährten Mimikry, bei der Wissens-Simulation, die sich milieubezogen bemäntelt. Wenn sich jemand als wissensdurstig inszeniert, frei von solchem Tatendrang, in einer etwas gespenstischen Wichtigtuerei, die keiner Überprüfung standhält.

Ich treffe dabei vor allem auf Menschen aus der Mittelschicht. Erkennbar keine subalternen Leute, aber auch keine Blüten des Bürgertums, die sich in solchen Posen aufstellen. Weshalb? Einer der Gründe liegt im Sozialprestige, das sich aus der Geschichte des Bildungsbürgertums herleiten läßt. Diese Schrulligkeit geht wenigstens auf das 18. Jahrhundert zurück. Der moderne Zentralstaat mit Bürokratie, Bildungswesen und einem leistungsfähigen Militär brauchte wachsende Personalstände zur Bildung und Ausbildung der nötigen Kräfte.

Wer in dieser Entwicklung den tristen Verhältnissen breiter Bevölkerungsschichten entkommen wollte, stand in den neuen Aufgaben und dem etwas verbesserten sozialen Status nach wie vor den alten Eliten gegenüber, ferner einem reüssierenden Besitzbürgertum. Der soziale Kontrast blieb enorm, soziale Mobilität sehr beschränkt, eingegrenzt.

Ich denke, das ist eine der Quellen dieser deprimierenden Entwicklung, daß sich kleinbürgerliche Kreise im Kulturbereich zwar exponieren, auch mit hartem Ellbogen nach vorne drängen, aber jene Qualitäten schuldig bleiben, die der Betrieb dringend und vor allem permanent braucht.

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Hermann Maurer (links) und Martin Krusche

Ich möchte es so bezeichnen: Ein Kurswechsel-Betrug bei den diversen Kapitalsorten, wie sie Bourdieu beschrieben hat. Hinter mir liegen nun rund 40 Jahre Interesse an und Praxis in der Wissens- und Kulturarbeit. Davon entfallen 30 Jahre auf die Provinz, also auf Verhältnisse jenseits des Landeszentrums. Dabei war ich lange Zeit viel optimistischer, als die Realität erlaubt. Selbstermächtigung durch Kompetenzgewinn. Ich dachte, das sei klar und unausweichlich, wenn man sich im regionalen Kulturgeschehen hervortut. werch ein illtum! ...um es mit Jandl zu sagen.

Gut. Ist so. Wir leben in einer Demokratie, da darf das so sein. Ich möchte es freilich anders. Dazu ist inzwischen die Arbeitsebene "Dorf 4.0" etabliert. Dafür hab ich die Kunst-Nische "Konsortium 18" aufgemacht. Das geht augenblicklich auch ganz konkret auf Graz 2020 zu, wo ich die Wechselwirkung von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst exemplarisch bearbeite. Unter anderem in Kooperation mit Wissenschafter Hermann Maurer; siehe: [link]

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