6. Jänner 2020

Was weiß ich, was ich weiß?

Ich finde es bewundernswert, wie viele Expertinnen und Experten in Fragen der Innenpolitik unser Land derzeit aufzubieten hat. Es ist beeindruckend, wie nun zunehmend erfahren werden kann, daß und auf welche Art jemand hätte zur Regierungsbildung besser verhandelt können. Dabei staune ich vor allem, daß unser Land politisch schon geraume Zeit in einem erkennbar eher mittelmäßigen Zustand ist, wo doch so viel Kompetenz kursiert.

Könnte es vielleicht daran liegen, daß viele Expertinnen und Experten in Fragen der Innenpolitik ihre Expertise vorzugsweise auf Diskursräume anwenden, sich aber selbst doch lieber nicht politischen Formationen anschließen, die kommunal wirksam werden oder es sogar in Regierungsnähe schaffen?

Ich hab selbst über geraume Zeit der Vorstellung angehangen, man müsse sich nicht zwingend einer politischen Partei anschließen. Wenn jemand in seinem Metier oder bevorzugten Themenbereich sachkundig ist, könne man sich auch mit anderen Sachkundigen vernetzen, sachlich fundierte Arbeit tun und adäquate Beiträge zu den öffentlichen Diskurse liefern. Das müsse sich auch beim politischen Personal auswirken.

Meine dominante Erfahrung auf diesem Pfad war, daß eine Balance zwischen Eigennutz und Gemeinwohl sich einfach nicht in der Waage halten möchte, daß verdeckte Intentionen über kurz oder lang erkennbar werden, wo das Reden und das Tun auseinanderfallen. Effekte, die ich auch im Privatleben finde. (Man sagt: es menschelt.)

Dieser Modus ist womöglich weiter verbreitet, als gerne angenommen wird. Anders kann ich mir nicht erklären, daß etwa die Startphase der neuen Rechten in Europa so ruhig gedeihen konnte, bis aktuelle Veränderungsschübe derlei Retrokurse massiv begünstigt haben.

Damit meine ich die Zeit zwischen den 1980ern und dem Jahr 2000. Spätestens im neuen Millennium hab ich etwa im Kulturbereich eine Erosion empfunden, die zu einer merkwürdigen Fragmentierung führte, von der wir nicht reden durften, weil ja etwa die freie bzw. autonome Initiativenszene sich selbst von solcher Anfälligkeit freigesprochen hatte.

Vielleicht ist solche Erosion aber bloß und vor allem banaler Ausdruck von Umbruchsphasen, unausweichlich? Meine Überlegung dazu lautet wie folgt.

Die Sozialdemokratie ist in Österreich wie in Deutschland in einen unübersehbar krisenhaften Zustand, rutscht inhaltlich auf den Knien und ist wirtschaftlich tief in Schwierigkeiten. Währenddessen retten sich Christlichsoziale hier wie dort (vorerst) mit viel PR-Aufwand über ihren vergleichbar kritischen Zustand hinweg. AfD brauchen wir keine, weil die FPÖ diesen Bereich irrationaler Ausritte und hilflos rückwärtsgewandter Staatsideen abdeckt.

All das verwischt sich in seiner Erkennbarkeit bei den Wahlen, weil – was ich gut verstehe – Menschen die Verzweiflung meiden, unter Druck in großer Zahl lieber tröstliche Propaganda glauben, als einen Realitäts-Check vorzunehmen.

In seiner interessantesten Variante hieße das, die SPÖ würde dereinst und rückblickend als Avantgarde dastehen. Eine Avantgarde der Untergangs überlebter politischer Strategien und Modi, weil der Lauf der Dinge mitten in der Vierten Industriellen Revolution längst ein Entwickeln neuer politischer Konzepte verlangen würde.

Hatte je eine Gesellschaft mehr Sicherheit, Wohlstand und Freiheit, als wir das derzeit genießen dürfen? Dennoch fällt es uns so schwer, in neue Verhältnisse aufzubrechen?

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