12. Juni 2020

Der Ömpörungs-Supermarkt

Ich mag diese Redensart, daß nun schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben werde. Eine prächtige Metapher. Anlaß für Erregungsspitzen. Ömpörung! Das wäre die alpine Variante. Eine dörfliche Sauhatz unter einigermaßen geordneten Rahmenbedingungen.

Es ist ja von ganz anderer Qualität, auf der Jagd eine Wildsau zu stellen. Da braucht man Mumm, wie mit ein Jäger versichert hat. Und man wisse nicht, ob man danach mit allen seinen Hunden wieder zurückkommen werde, so heftig könne die Gegenwehr des gejagten Tieres sein.

Der Süden liefert uns pittoreske Beispiele. In Pamplona waren es stets Stiere. Beim „encierro“, der seine Wurzeln im Tiermarkt haben soll, zu dem die Rinder einst getrieben wurden, führt die Stierhatz in eine Arena zur „corrida de toros“. Die Stiere sterben also auf jeden Fall, manchmal auch Menschen, die sich bei der Stierhatz nicht ausreichend gewandt geben.

Gemeinsame Erregung. Folglich gemeinsame Erhebung. Mich irritiert das gerade, weil ich merke, daß ich dem Tempo anfallender Großthemen nicht folgen will. Ich will es nicht, weil ich ihnen nicht folgen kann. Daher müßte ich mich in einer Pose exponieren. Wozu?

Hat die Tötung von George Floyd nun Rassenunruhen ausgelöst? Oder sind das Proteste gegen Polizeigewalt? Hat uns Donald Trump nicht erneut wunderbare Ärgernisse geboten? Sollten wir nicht auch dringend unsere eigenen Bürgerrechte verteidigen, zum Beispiel gegen die Maskenpflicht? Alles kommt durcheinander.


Der Ömpörungs-Supermarkt hat seine Tore weit offen, das Angebot liegt auf dich biegenden Tischen bereit. Das ist ein sehr geselliges Ereignis, denn die Ömpörung verlangt keine Sachkenntnis, genügt sich in Erregung. Das nutzen nicht bloß dummdreiste Schnarchnasen, denen man keinerlei Aufmerksamkeiten widmen würde, sobald ihr Gehampel und Gezänk vorbei ist.

Ich hab dieser Tage wieder zwei Facebookies aus meinen Listen gestrichen, weil diese Gockel, erkennbar denkfähige Männer, sich nun schon in der x-ten Woche Argumente um die Ohren schlagen, um der Welt zu verkünden, daß sie einander für Deppen halten. Ömpörung!

Aber zugegeben, im Gegensatz dazu ist mein bevorzugter Modus einer konzentrierten und längerfristigen Arbeit an relevanten Themen mit dem Geruch der Romantik behaftet und kaum salonfähig. Ich kann mich nicht zu allem, was gerade boomt, sachkundig äußern. Also kann ich zu vielem keine Aussagen machen.

Derzeit ordne ich gerade wieder meinen Themenkatalog neu, werde manches ausschließen, um mich auf wenige Aspekte konzentrieren zu können. Ich werde mich außerdem gegen allerhand Betrofffenheitsgymnastik und Moraltrompeterei stärker verschließen müssen, wie auch gegen Menschen, die mir mit Inbrunst zurufen, was nun vorrangige Themen seien.

Da draußen klingt ja immer noch wo ein Echo von Immanuel Kants Empfehlung, wir mögen uns unseres Verstandes ohne Anleitung durch andere Leute bedienen, das eröffne einen Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.

Mein Verstand braucht ein wenig Platz, um seine Möglichkeiten nutzen zu können. Ich kann ihn also nicht jeder Sau hinterherschicken, die gerade durchs Dorf getrieben wird. Ich kann ihn nicht in eine Kammer packen, die von Themen überquillt. Mein Verstand muß sich bewegen können, muß sich umtun können, damit geklärt werden kann, welchen Themen er sich gewachsen fühlt…

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