1. Juli 2020

Ressourcen. Dynamisch.

Die Scheuer-Vernissage war für einige Debatten gut. Das zog sich dann weiter, ging durch verschiedene Kanäle. Facebook ist immer für Überraschungen gut. Meine gestrige Notiz brachte mir etwa die Rüge ein: „Vielleicht solltest du dich einfach als Literat ein bisschen demütiger gerieren... Darum ging's mir, nix Persönliches!!“ (Ich verstehe! Das ist nichts Persönliches.)

Der Lockdown hat allerhand Konturen schärfer gestellt. Wenn ich also nun schon eine Weile über eine neue Bourgeoisie schreibe, die sich aus dem Bildungsbürgertum meiner Generation herausgebildet hat, dann ist das inzwischen recht gut überschaubar.

Es reicht aus dem Privatleben in regionale Instanzen hinein, schließlich auch bis hinauf zur Bundesregierung. Mein Mantra: Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon wir reden. Begriffe!

Ich hab in der gestrigen Notiz schon ausdrücklich erwähnt, daß ich „Profit“ nicht nur (im Sinne von Marx) als eine Vermehrung von Produktionsfaktoren und Finanzierungsmitteln sehe. Geld als Kapital und Geld, das Geld verdient, das sind grade nicht meine Themen.

Maler Chris Scheuer

Ich komm bei kulturpolitischen Fragen mit dem Kapitalbegriff von Bourdieu sehr gut weiter. Überaus nützlich, um unseren Kulturbetrieb und seine verschiedenen Wechselbeziehungen zu beschreiben. Und äußerst dynamisch; wie auch meine bevorzugte Kunsttheorie (von Boris Groys) sehr dynamisch ist. Das verträgt sich gut.

Bourdieu verstand „Kapital“ als einen Begriff für gesellschaftliche Ressourcen. Das geht über eine bloß ökonomische Deutung des Begriffs weit hinaus. Er beschrieb soziales Kapital, ökonomisches, kulturelles und symbolisches Kapital.

Bourdieus Kapitalbegriff bündelt die Ergebnisse menschlicher Anstrengungen. Der Soziologe untersuchte Handlungsmöglichkeiten, dank derer Menschen soziale Positionen verhandeln, erringen und verwalten können. (Kapital als notwendige Ressource für menschliches Handeln.)

Es wird kaum überraschen, daß ich künstlerische Arbeit als eine unter vielen Optionen sehe, wie Menschen sich tätig in Gemeinschaft einrichten. Was mich so anspricht, dieses Dynamische: nach Bourdieu sind die verschiedenen Arten des Kapitals untereinander austauschbar. Sie können auch ineinander umgewandelt werden.

Das ist gemeint, wenn ich schon mehrfach erwähnt habe, man könne mich, den Künstler, in verschiedenen Währungen bezahlen. Geld, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Sichtbarkeit, Sozialprestige, Respekt. (Von einer Währung verlange ich, daß ich sie nach Bedarf in etwas anderes konvertieren kann.)

Es lohnt sich, den Wikipedia-Beitrag zum Thema wenigstens zu überfliegen und einen Blick auf die grafische Darstellung zu werfen. (Was ist jeweils das soziale Kapital, das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital und das symbolische Kapital?) [Link]

Scheuer in Progress

Ich hab das unter anderem im kulturpolitischen Krisenjahr 2015 mehrfach thematisiert. Da hieß es etwa: „Davon ausgehend solle das Angebot zum Leistungsaustausch erfolgen, auf daß Politik und Verwaltung, aber auch die Wirtschaft sich auf Kooperationen einlassen mögen.“ Damals kamen die Verhältnisse merklich durcheinander.

Ich notierte: „Der Leistungsaustausch, von dem ich rede, handelt von jenem wahlweise sozialen, symbolischen, kulturellen oder ökonomischen Kapital wie es Pierre Bourdieu uns zur Beschreibung gesellschaftlicher Vorgänge vorgeschlagen hat.“ [Quelle] Neue Krise, neue Arbeit an Begriffen und Verhältnissen!

ÜBERSICHT: "Resurrection" | Kulturpolitik

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