13. August 2020

Faschistoide Nazikeulen und warme Eislutscher

Der Linke nennt den Rechten „faschistoid“ und murmelt etwas von „Alltagsfaschismus“. Der Rechte kontert, man möge sich seine „Nazikeule“ sonstwo hinstecken, als Linkslinker wissen man ja, wo der Hammer hängt. Hammer und Sichel? Egal!

Das Setting kommt häufig vor. Was wissen wir nun? Nichts! Das ist ein völlig apolitisches Gezänk, indem sich zwei jeweils Andersdenkende mit Klischees bewerfen, die über das Maß trüber Kategorien nicht hinauskommen.



Ein Aspekt in der Debatte mit meinem Besucher

So betreibt man Selbstdefinition durch Feindmarkierung. Als Vorwürfe könnte man ebensogut jedes andere Wort einsetzen, von mir aus auch „Essiggurkerl“ und „Zahnpasta“. Die Aussagen würden dadurch nichts gewinnen oder verlieren. Eben Gezänk.

Was den Faschismus angeht, sollten wir in seiner Deutung möglichst nicht hinter die Habermas-Kontroverse zurückfallen. Wer aber vom Historikerstreit noch nie was gehört hat, könnte ja auf den Vorwurf „Faschismus“ überhaupt verzichten und stattdessen direkter, auch etwas genauer, sagen, was er oder sie denn meint, dem Gegenüber vorhalten zu müssen.

„Nazikeule“ ist eine sprachliche Abwehrstrategie, die am besten klingt, wenn sie auf einen unscharfen Faschismusbegriff trifft. Es klingt schön hohl. Das ist also gesamt für nichts zu brauchen, außer für den egoistischen Austausch von Grobheiten. Da geht es gewöhnlich um warme Eislutscher. Politisch ist es aber nicht.

Was ist denn nun ein Linker und was ein Rechter? Das scheint so einfach wie zu fragen: was ist ein Katholik, was ein Jude und was ein Moslem? Hinter jedem der Begriffe steht eine äußerst große Anzahl von spirituellen und soziokulturellen Konzepten, die auf eine noch größere Anzahl von Lebenspraxen verweisen.



All die förderlichen Dialoge, wie zum Beispiel:
Ranjit Hoskote & Ilja Trojanow

Darüber läßt sich entweder nur sehr grundsätzlich reden, so daß eine grobe Orientierung gelingt, oder man geht auf einen zeitlich und regional konkreten Zusammenhang ein. Dann wird es auch klarer. Damit möchte ich betonen, daß es in einer Alltagsdebatte nichts bringt und nichts sagt, wenn jemand Alltagsfaschismen und Nazikeulen für nachweisbar hält. Die nähere Untersuchung bringt selten etwas von Belang.

Meist komme ich mit Begriffen wie Menschenverachtung und Angriffslust besser auf den Punkt. Das sind beides übrigens Zutaten von rechten oder linken Neigungen, andere zu bevormunden und andere Meinungen abzustellen.

Die heikle Herausforderung bleibt dabei, in einer pluralistischen Gesellschaft Antwortvielfalt für unverzichtbar zu halten und Dissens als anregende Option zu sehen. Ich hab nichts gegen einen deftigen Streit. Das kann Sinn ergeben, solange jemand Ideen und Argumente angreift, aber nicht den Menschen, der sie vorbringt.

Doch was macht nun das Linke und was das Rechte aus? Und was, wenn eine Rechte behauptet, die Mitte zu sein, während eine Linke lieber gar nicht mehr erwähnt, links zu sein? Naja, dann landen wir gleich wieder bei Klischees, bei polemischer Komplexitätsreduktion, bei den ideologischen Nebelschwaden.

Das ist übrigens etwas, mit dem die Neue Rechte seit den 1980er Jahren strategisch arbeitet; und zwar erfolgreich. Ob es aber in meiner Gegend auch eine Neue Linke gibt, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Es gibt auf jeden Fall eine neue Bourgeoisie, die sich durch große Unschärfe in den Begriffen und Aussagen hervortut, was vor allem nützt, wenn man hinter einem Geschwafel-Vorhang ungestört tun möchte, wonach einem gerade ist. (Möglicherweise berühren sich dort einige rechte und linke Lager.)

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