5. Oktober 2020

Freie Meinungsäußerung

Vorige Woche lief in Weiz die zweite Verhandlung gegen Musiker Charles Quintin LeMonds. Es erfolgte ein Freispruch, der noch nicht rechtskräftig ist, weil der Staatsanwalt berufen hat. Den Anlaß zu all dem gab im Vorjahr eine Wahlkampfveranstaltung der FPÖ auf dem Gleisdorfer Hauptplatz.

LeMonds hatte sich dort eingefunden und hielt dabei ein kleines Poster hoch, auf dem man lesen konnte: „Ich liebe meine jüdische Tochter“. Während des Auftritts von FPÖ-Politiker Herbert Kickl hatte LeMonds mehrmals mit bloßem Mund und Fingern gepfiffen.

Der Richter fand nun offenbar weder im Poster noch in den Pfiffen eine „erhebliche Störung“ der FPÖ-Wahlkampfveranstaltung als gegeben, wertete LeMonds Auftreten folglich wohl als zulässige Meinungsäußerung. Deshalb der Freispruch.


Der Staatsanwalt sieht das anders und ging in Berufung. Weshalb? Weil ihm an einem Präzedenzfall liegt, der zur Frage, ob Chucks Auftreten noch als freie Meinungsäußerung gelte, Klarheit schaffen sollte. Es heißt, dazu gebe es praktisch noch keine Judikatur.

Was darf ich daraus schließen? Für den Staat soll folgendes klarer werden:
+) Im öffentlichen Raum kann es eine
+) nicht behördlich angemeldete und genehmigte Meinungsäußerung geben,
+) die entweder zulässig ist oder die geahndet werden müsse.
+) Ohne technisches Hilfsmittel zu pfeifen sollte offenbar geahndet werden.

Ich mußte mir das erst zurechtrücken. Eine politische Partei setzt eine genehmigte Veranstaltung zur Wahlwerbung um. Dabei werden Inhalte dargeboten, an denen sich manche Menschen stoßen. So Chuck LeMonds, dem sehr konkret Aussagen von Herbert Kickl mißfielen. Statements, die dieser vorab schon getan hatte, aber auch an diesem Abend bot.

Derlei Inhalte, mit denen die FPÖ in den öffentlichen Raum Gleisdorfs ging, waren nicht Gegenstand des Verfahrens, müßten aber beachtet werden, wenn man beurteilen möchte, ob LeMonds Verhalten legitim gewesen sei oder einer Sanktion bedürfe.


Quelle: Kleine Zeitung

Selbstverständlich waren seine Pfiffe Reaktionen auf Kickls Aussagen. Pfiffe können naturgemäß nicht den gleichen Regeln unterworfen sein, nach denen ein gesprochener Dialog stattfindet. Ein Pfiff ist zwar ein konkretes Statement, ist aber Teil einer außersprachlichen Kommunikationssituation.

Freie Meinungsäußerung? Gewiß! Wir äußern uns auf solche Arten; zustimmend, bewundernd, ablehnend, wütend… Wir denken nicht nur in Worten, sondern auch in Bildern und Emotionen, vollziehen kognitive Akte mit dem gesamten Repertoire.

Wir kommunizieren nicht nur mit Worten, sondern mit allen verfügbaren paralinguistischen Phänomenen. Wir bieten Text, Subtext und Kontext mit einer breiten Palette von Ausdrucksformen an.

Das konkrete Setting? Kickl oben auf einer Bühne, flankiert von einer leistungsfähigen Lautsprecheranlage, die den gesamten Hauptplatz dominiert. LeMonds unten, zwischen einer Mehrzahl an FPÖ-Anhängerschaft, mit bloßen Händen, ohne verstärkende Hilfsmittel.

Ich nehme an, in diesem Setting hat sich keine „erhebliche Störung“ der Veranstaltung ereignen können. Das wäre im Rahmen Newton’scher Physik unmöglich. Bliebe die Option, daß sich eine einzelne Person unter den Anwesenden durch LeMonds erheblich gestört fühlte. Das würde nach Belegen, nach Beweisen verlangen. Die gab es anscheinend nicht.

Da ist es dann plausibel, den Aspekt der „zulässigen freien Meinungsäußerung“ zu unterstreichen. Damit geht es uns alle an. Der öffentliche Raum ist unser aller Raum. Ich muß darauf bestehen, daß der Staat hier so wenig wie möglich ordnend eingreift. Ich finde beispielsweise die Straßenverkehrsordnung gleichermaßen sinnvoll wie unverzichtbar.

Was aber die freie Meinungsäußerung in diesem primären politischen Raum angeht, denn genau das ist der öffentliche Raum, will ich vom Staat höchste Zurückhaltung. Was also dieses Verfahren berührt und zum Thema macht, ist unser aller Angelegenheit.

-- [Pfeifer im Sturm] --

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