27. Dezember 2020

Die achte Tele-Drink-Session im zweiten Lockdown und Graz

Während ich gestern mein achtes Tele-Miniaturfest absolviert habe, kamen nach und nach Meldungen aus der Landeshauptstadt daher. Ach, Graz! Einst die „Stadt der Volkserhebung“, nun die Stadt der Volkserregung. Verschiedene Quellen berichten übereinstimmend, daß es gut tausend Menschen waren, die ihre Smartness demonstrierten, indem sie eine nicht angemeldete Kundgebung einfach als „Spaziergang“ deklarierten.



Einmal pro Woche ein kleines Fest! (In meinem Fall: zuhause.)

Es ging gegen die Impfpflicht, für die in unserer Politik so gut wie niemand eintritt, außer unser Landeshauptmann Josef Schützenhöfer (ÖVP). Aber der hat sich als steirischer Patron der Volkskultur ja auch mit Andreas Gabalier fotografieren zu lassen, um dieses Genre zu promoten. Ich möchte da einen gelegentlichen Mangel an Instinktsicherheit und Sachkompetenz konstatieren.

Also: „Gegen die neuen Massnahmen! Keine Testungen keine Impfpflichten!!“ und gegen allerhand andere Reglements, seien sie real, seien sie Fiktion. Würde ich zum medizinischen Fachpersonal des Landes gehören, ich wüßte nicht, ob ich mich nun eher über potentiellen Klientenzuwachs zur Sicherung meines Arbeitsplatzes freuen sollte oder über die Verschärfung der Arbeitsplatzsituation, in der ich Schutzkleidung tragen muß.

Das alles erinnert mich ein wenig an die harten Kerle, die ihre Autos mit solchen Aufklebern dekorieren: „Richtige Männer brauchen keine Sicherheitsgurte“. Hab solche Helden auf der Zweiten Chirurgie in Graz kennengelernt, als ich einmal von der Intensivstation herausgekarrt wurde. Ich verrate ihnen was: wenn’s schiefgegangen ist, sind die keine harten Kerle mehr und flehen das Fachpersonal um Linderung an.



Gleisdorfer Fundstück: hätte ich bloß die letzten 30 Jahre in Sachen Demokratie etwas mehr konkret handelnde Personen statt Schreihälse erlebt...

Immerhin war nun in Graz der Beweis gelungen, welche Art Polizeistaat wir im Corona-Jahr geworden sind. Begleiten und deeskalieren. Das blieb die Devise der Exekutive. Bloß eingreifen, wenn wo ein Konflikt hochgeht.

Ich denke, das war klug gehandelt, denn eine harte Konfrontation mit tausend erregten Menschen hätte höchstwahrscheinlich zu gravierenden Folgeschäden geführt. Selbst der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl echauffierte sich über die Zurückhaltung der Polizei, über die berichtet wurde: „Es gab keine Zwischenfälle, sagte ein Polizist zur APA“.

Ich gebe gerne zu, es ist klug, vorausschauend zu handeln und die Politik in Details zu fordern. Graz zeigt freilich den gleichen Mix an Obskurantismus, der auch aus Deutschland kolportiert wird. Besonders infam finde ich Wichtigtuer, die sich zur Impfdebatte eine Art Judenstern basteln und aufnähen, sich also mit Holocaust-Opfern assoziieren. Das bekommt gerade in Graz seinen speziellen Drall. Eine üble Anmaßung.



Wir sind eine Spezies, die Regelübertretungen liebt.

Ich hab mir dieser Tage auch aktuelle Reportagen von Spiegel TV und anderen Sendern angesehen. Da werden Medienleute umfassend beschimpft. Ein Mann plärrt in die Kamera, sein Gegenüber würde ja gerne Schwänze lutschen. Diese Mischung aus Ich-Schwäche eines Kerls und Herabwürdigen von Homosexuellen halte ich für miserabel.

Da klopfen biedere Leute mit Löffeln auf Töpfe und skandieren „Na-zi-Dik-ta-tur“. Eine derart dummdreiste Klitterung tut selbst via Internet weh. Daß dazwischen ganz unverhüllt Neonazi auftreten, die aber offenbar nicht Adresse dieses Topfschlagens sind, bleibt staunenswert.

Oder ein Vermummter, dessen Hoodie per großem Logo auf dem Rücken eine Antifa-Zugehörigkeit attestiert. Er beschimpft Medienleute derb und rennt schließlich einen Kameramann von hinten um, was bedeutet, er nimmt in Kauf, daß sich der Mann erheblich verletzt.

Der „Antifaschist“ ist nicht in der Lage, sein Verhalten als das von SA-Rabauken zu identifizieren, von Nazi-Schlägern. So geht es dahin in Eskalationen aller Dimensionen. Diese boomende Gewalttätigkeit in der Sprache und im Zuschlagen untergräbt jene Demokratie, deren Schutz dabei behauptet wird. Verhaltensoriginell!


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