21. April 2021

Diese Aufgeräumtheit an anderen Orten

Ich kann das ja niemandem auf vernünftige Art erklären. Manchmal hätte ich die größte Laune, eine Flasche vorzüglichen Wein flach zu machen. Es wäre auch eine vorrätig. Aber ich kann den Wein einfach nicht riechen. Das heißt, mein Körper steht meinem Verlangen entgegen. Das ist nichts zu machen. Man könnte sagen: ein inverser Suchtmoment. Das erhebliche Verlangen zerschellt an meiner Physis.

Bei anderer Gelegenheit ist ein angenehmer Wein in meiner Griffweite und nichts kann mich dazu bewegen ihn zu trinken, weil sich das Verlangen danach einfach nicht einstellt. Das sind Effekte, über die ich keine Klagen anstimmen werde, denn sie sind von einer zutiefst harmlose Natur.


Ich habe nach so vielen Jahren immer noch keinen Tau, woran es liegen mag, wenn alle förderlichen Bedingungen zusammen kommen und ich für Stunden einer Trinkfreude nachgehen kann, die mir ihre Regularien verbirgt.

Das heißt aber vermutlich nicht mehr, als daß ich in meinem Leben achtsam bleiben soll. Die hinreißenden Momente sind keinen persönlichen Anordnungen unterstellt, sondern ereignen sich nach ganz anderen Zusammenhängen.

Sie sehen auf dem Bild ein paar winzige Federn. Ich werde vielleicht später noch erzählen, was es damit auf sich hat. Diese zarten Gebilde sind mir heute per Post ins Haus gekommen. Wäre es machbar, ich würde in meiner durchaus geräumigen Wohnung auf nützliche Dinge gänzlich verzichten und mich nur mit Gegenständen umgeben, die eine gewisse Magie haben. (Plus Flaschen mit vorzüglichem Wein.)

Ich habe mehr als einmal erlebt, daß Menschen an meiner Tendenz, in einer Wunderkammer zu leben, ernsthaft Anstoß nehmen. Ich bedaure das, kann aber dagegen nichts machen. Da ist so viel Aufgeräumtheit im Leben anderer Menschen, daß ich gerne annehme: es muß ein Wert darin liegen, der mir nicht zugänglich ist.

Bevor der Mythos vom Logos abgelöst wurde, war der Himmel voller eifersüchtiger Gottheiten, die einander ständig am Zeug flickten. Für Menschen blieb es weitgehend unberechenbar, bei welcher Gottheit man mit welcher Schmeichelei landen konnte. Über all dem Zeus, ein Ausbund an Egoismus und schlechtem Benehmen. Was für ein hinreißendes Chaos, in dem die Menschen keinerlei Schäbigkeiten ersinnen konnten, in denen sie nicht von Gottheiten übertroffen wurden.

Dieses unaufgeräumte Ganze von Himmel und Erde muß einem Teil der Menschen irgendwann unsäglich auf die Nerven gegangen sein. Nun meine gewagte These: die vorzüglich aufgeräumten Wohnungen sind eine Konsequenz des Monotheismus, der erdacht wurde, um dieses gesamtkosmische Chaos zu bändigen. Sie verstehen den möglichen Zusammenhang?

Ich würde nun nicht so weit gehen zu behaupten, die zarten Federn, wie sie mir heute als Geschenk ins Haus kamen, wiegen mehr als Ihre makellose Couch-Garnitur oder Ihr gepflegter Mercedes. Mir ist völlig klar, daß ich eher einer Obsession bezichtigt werden würde, als eine Art wohlwollende Duldung für meine Wunderkammer zu erleben.

Wir können darüber keine Verhandlungen führen, denn ich werden an meinen Prioritäten festhalten müssen. Ich nehme zur Kenntnis, daß Wohlgeordnetheit einer Festung gleichkommt, vor der ich ratlos stehe. Hier gibt es nichts zu stürmen. Aber ich hab ja diese Federn…


[Kalender] [Reset]