29. April 2021

#allesdichtmachen III
Die Revolte der Maulhelden

Das geht jetzt nicht ohne ein paar Glaserln Prosecco. Eine Gruppe Kunstschaffende betritt die Bühne, stellt sich ins Licht der Öffentlichkeit, macht verschiedene Statements, bekommt allerhand Applaus, aber auch so manches Dreckstück um die Ohren. Schlimm? Erwartbar!

Waren Sie je im Theater? Ich hab mir als junger Kerl durch Statisten-Jobs Geld verdient. Wer auf die Bühne geht, darf, ja muß mit beidem rechnen. Applaus und Pfiffe. Rosen und Dreckstücke. Das ist Teil des Berufs.


Jetzt und diesmal haben Künstlerinnen und Künstler sich auf ihren (Internet-) Bühnen neben Applaus auch Pfiffe und häßliche Worte eingefangen, weshalb sich da auf einmal eine Opferpose breit macht. Was für eine Operette! Jemand findet „es toll, was sich Schauspieler da getraut haben“. Ja, was denn getraut? In einer stabilen Demokratie das Maul aufmachen? Oder kommt nachts ein Rollkommando, um jemanden für solche Statements aus dem Leben zu schaffen? Nein, bei uns nicht.

Offenbar gönnen sich manche nun ein Gefühl wie wenn sie am Tian'an Men-Platz vor Panzern der chinesischen Armee stünden. Das finde ich lächerlich. Oder sind einige der Leute knapp dem Militärputsch in Myanmar entkommen? Waren sie in der Ukraine unter Lebensgefahr, in Belarus bedrängt? Das wären so gegenwärtige Referenzpunkte von harten Kontroversen.

Ich sehe dagegen in Österreich und Deutschland eine neue Bourgeoisie, inhaltlich etwas schwächlich, die anscheinend gerne auf radical Chic macht. Dabei waren gerade viele weder künstlerisch noch strategisch gerüstet, eine Umarmung durch Rechtsradikale weitgehen zu vermeiden. Dafür nennt inzwischen der Initiator des Spektakels jene, die ihn kritisieren, „faschistoid“. Das ist jämmerlich!

Diese Arbeit der neuen Bourgeoisie mit ihrem radical Chic werden wir bald vergessen haben, weil die meisten Werke kein künstlerisches Gewicht auf die Waage bringen. Aber ich sehe einen Nutzen in etlichen Fragen, die dadurch auf den Tisch kamen.

Was ist Arbeit von künstlerischer Relevanz? Was sind Öffentlichkeit und öffentliche Diskurse? Was sind Kontroversen, in denen verschiedene Lager aufeinandertreffen? Wir wollen wir dabei mit Dissens umgehen? Solche Fragen hätte ich in den letzten Tagen via Internet gerne debattiert. Ging aber nicht.

Ich hielte das für wichtig, weil der Kulturbetrieb durch die Pandemie schwer beschädigt wurde. Ein bedeutender Anlaß, unsere Branche zu überprüfen: Wo stehen wir? Wozu sind wir in der Lage? Was mag Sache der Kunstschaffenden sein und was nicht?

-- [#allesdichtmachen] [Bourgeoisie] --


[Kalender] [Reset]