22. Oktober 2022

Volksreporter und Medienmuli

Ja, zugegeben, die Wortschöpfung Volksreporterhat etwas Grenzgeniales. Sie suggeriert, Leute ohne Ambition zum Kompetenzerwerb und ohne journalistische Vorerfahrung seien dennoch gerüstet, eine taugliche Berichterstattung zu erbringen. Vox populi läßt sich bewirtschaften.

Medienkonzerne zeigen einen grenzenlosen Hunger auf Content. Inhalte. Die können vermarktet werden, bieten aber auch, falls sie nur wenig taugen, immer noch einen Vorwand, um Inseratengeschäfte an Land zu ziehen. Content bleibt unverzichtbar, denn niemand sieht sich einen nackten Inseratenfriedhof durch. Da muß schon ein wenig redaktionelles Zeugs dazwischen liegen.


Das kann man zum Beispiel von unerfahrenen Leuten ohne Bezahlung bekommen, wenn man ihnen dafür einen Reputationsgewinn suggeriert. Die werden dann oftmals zu einer Art williger Maultiere des Geschäftsbetriebes. Damit meine ich, der Volksreporter, wahlweise Bürgerreporter, macht sich zum Muli der Medienbranche und liefert gratis. Dafür darf er sich als Autor fühlen, dafür darf die rege Schreiberin in ihrem privaten Umfeld ein Plus an Sozialprestige lukrieren.

Das bedeutet ferner, die Marktsituation für journalistisch ambitionierte Leute verschlechtert sich permanent. Darüber könnte man vielleicht hinwegsehen, denn jede Branche kennt irgendwelche Härten und wer da oder dort sein Brot verdienen möchte, muß mit den Bedingungen eben zurechtkommen.

Wir erleben freilich seit geraumer Zeit, wie solche Geschäftsmodelle beitragen, den öffentlichen Diskurs zu korrumpieren und die seriöse Wissensarbeit entwerten. Es hat doch jeder Mensch zu (fast) allem eine Meinung. Wenn die also ungefiltert raus kann, über die neuen Medien in den öffentlichen Diskurs einfließt, dann muß ja was dran sein; nämlich am Gefühlten und selbst Erdachten. Dann zählt das doch!

Wozu noch eine kritische Prüfung, indem man seine Ansicht mit irgendeinem Stand des Diskurses vergleicht? Dabei stören diese „Mainstrema-Medien“, diese diktatorischen „System-Medien“ doch nur. Und die Wissenschaft erst recht, dieses korrupte Milieu. Oder?


Kritik heißt vergleichen! Wer also ausposaunt, es sein ihm oder ihr völlig egal, was andere denken und genau darin bestünde die größte Freiheit, erklärt den Wissenserwerb zum Witz und denunziert die Arbeit, die das braucht, die Mühen des Wissenserwerbs, für unnütz.

Da tummeln sie sich, die Medien-Mulis, produzieren Content für Companies, die genau das dann vermarkten: Aufmerksamkeit und Bindung ihres Publikums. Die Qualität des Inhalts ist dabei offenbar völlig egal, solange er diese eine Qualität hat: die Aufmerksamkeit des Publikums möglichst lange zu fesseln.

So sehen dann aber inzwischen auch so manche gesellschaftlichen Situationen in einem konkreten Gemeinwesen aus. Die Gleisdorfer Unruhe und die Agonie lokaler politischer Kräfte gegenüber den vaterländischen, wahlweise esoterischen, wahlweise neofaschistischen Interferenzen sehe ich in eben diesem Zusammenhang. Eine neue Bourgeoisie hat weite Bereiche an Bildungsmöglichkeiten aufgegeben und simuliert ein geistiges Leben, das Anfechtungen durch die Neue Rechte kaum noch standhält.

+) Der Brief


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