8. Februar 2023

Ausufern oder straffen?

Meinen Bunker aufräumen. Meine Festplatte aufräumen. Meine Webpräsenz aufräumen. Mein Leben aufräumen. Das paßt ganz gut zusammen. Und nein, kein Kondo-Style. Ich lebe ja nicht in Tokyo, wo ich um die gleiche Miete vermutlich nur ein Telefonhäuschen bewohnen könnte.

Zugegeben, wäre ich ein sehr wohlhabender Mann und eventuell ein Loft-Besitzer. ich hätte darin etwas wie eine „japanische Sektion“. Tatamis, Tischchen, Armstütze, sonst nichts in einem Raum der von papierbespannten Shojis umgeben wäre. Ich hätte ferner einen üppig bestückten Weinkeller und eine nicht enden wollende Bibliothek. So Sachen. Ausufernd.


Aufräumen, das heißt ja straffen. Ausufern kommt aber meinem Wesen näher. Mir ist das heute klarer denn je: Ich bin ein antiquiertes Wesen und werden daran nichts ändern; was vermutlich zu den konstituierenden Merkmalen antiquierter Wesen zählt. Ich pfeif auf die amtlich bestätigte, extrem kurz flimmernde Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen. Mir gehen all diese Legionen am Arsch vorbei, denen ich auf Facebook die Kategorie „Reels und Kurzvideos“ verdanke.

Daneben tümpeln spießbürgerliche Kreaturen, die teilweise sogar akademische Grade vor sich hertragen, während sie auf Memes abfahren und gerne kurze Slogans raushauen, wahlweise recht ausführlich werden, wenn sie als flammende Korreferenten via Social Media ihr Unwesen treiben. Was das bedeutet?

Man könnte mit ausreichender intellektueller Selbstachtung eine Primärkraft sein, ein Mensch, der Inhalte formuliert, der Content generiert, der betrachtenswerte Fotos beiträgt oder was auch immer aus eigenem Nachdenken wie Handeln kommen mag. Das hieße auch: sich selbst ein Publikum erarbeiten.

Aber der flammende Korreferent, ein naher Verwandter von murrenden Kulturlemuren, wütet als Kommentator, reitet austeilend durch den Cyberspace, stets auf der Suche nach Postings, die zu kommentieren ihm lohnend erscheinen. Das wird bei adäquaten Funden dann etwa mit einem Stenogramm quittiert, einer kurzen, markigen Ansage, die ausdrückt: ich weiß es eigentlich besser.

Oder es kommt ein fettes Korreferat. Flammende Korreferenten und murrende Kulturlemuren kann man auch bei Veranstaltungen von Angesicht zu Angesicht erleben. Sie haben genau das gemeinsam: die Scheu, sich selbst ein Publikum zu erarbeiten und sich mit sowas wie „primärem Content“ zu exponieren, sich dem möglichen Interesse anderer Leute auszusetzen.

Da geht viel eher was mit „sekundärem Content“, der flotten Meinungsäußerung. Gut, das sollte man nicht verwechseln mit anregenden Dialogen. Ich hab ein paar Menschen um mich, die via Social Media immer wieder auf meine Inhalte reagieren. Wie angedeutet: im Sinn und Stil eines Dialoges. Das ist eine ganz andere Haltung.

Was den Unterschied ausmacht? Zum Beispiel Esprit. Und der Verzicht auf Herablassung. Dann das vielleicht wichtigste Element bleibt: einen als Gegenüber zu würdigen und nicht als Ressource zu bewirtschaften.

Ich muß das nicht näher erklären, weil Menschen, denen sowas liegt, keiner Erklärung bedürfen. Den anderen gegenüber, etwa flammenden Korreferenten und murrende Kulturlemuren, habe ich keinen Erklärungsbedarf. Die sollen tun, was sie wollen. Zu ihnen fällt mir nur diese serbische Redensart ein: „Svaka vama cast, al' što dalje od nas!“ Das bedeutet ungefähr: „Alles Gute für Dich, aber so weit weg wie möglich!“