6. März 2023

Der hybride Krieg VI

Ich hoffe, wird sind uns einig, daß kein Staat sein Territorium auf Kosten eines anderen Staates per Kriegshandlung vergrößern darf. Ich hoffe, es steht ebenso außer Streit, daß es keine ethnischen Säuberungen geben darf. Mag ja sein, daß das keine Übereinkünfte für die Ewigkeit sind. Aber im 21. Jahrhundert wird sich das „Konzept Nationalstaat“ mutmaßlich nicht so radikal verändern, daß in Europa von solchen Verpflichtungen demnächst abgegangen werden kann.

Putins Rußland hat solche Konventionen in die Tonne getreten, die ukrainische Ethnie zu einem Hirngespinst und das Staatsgebiet der Ukraine zu russischem Territorium erklärt, das angeblich von der „Geschichte“ legitimiert sei. Das ist, gelinde gesagt, etwas retro.


Wir haben uns im Untergang Jugoslawiens detailliert anschauen können, was es mit Gesellschaften macht und wie es sich auf einen ganzen Kontinent auswirkt: ein Umschreiben der Landkarten und ethnische Säuberungen. Ich staune übrigens heute noch, daß etwa „Srbija i Crna Gora“ bis 2003 in der Nachfolge Jugoslawiens stand, sich dann aber im Sommer 2006 ein eigenständiger Zwergstaat herauslöste. (Montenegro hat rund 621.000 Einwohner.)

Ein spontaner Anfall von Nation Building? Wohl kaum! Ich vermute, das war ebenso ein Zugeständnis Serbiens an etwas mehr Stabilität in der Region, wie auch und noch dringender die Eigenständigkeit der Republik Kosovo mit heute etwa 1,8 Millionen Einwohnern. (Während es um Montenegro eher still geworden ist, blieb das Kosovo unruhig.)

Vor allem haben uns aber Bosnien und Herzegowina einmal mehr deutlich gemacht, daß der Platz auf Erden nicht reicht, um jeder Ethnie einen eigenen Staat zu ermöglichen. Wer demnach in Eurasien heute Landesgrenzen verändern will, bringt uns alle unter Druck. (Bliebe noch zu klären, warum Koexistenz und Kooperation der Menschen nicht trotz nationaler Grenzen nach Bedarf entwickelt werden könne. Da da holpert die EU seit ihrem Bestehen.)

Ab dem Abdanken der großen Dynastien in Europa ist jede Veränderung der Landkarten mit sehr viel Blut geschrieben worden; vor allem, weil mit dem Großen Krieg Logistik und neue Waffensysteme ins Spiel kamen, wie man sie davor nicht kannte.

Adrift at Sea: Lighthouse in the Tempest?
In „The Guadian“ war eben zu lesen, Rußlands Außenminister Sergei Lawrow habe bei „The Raisina Dialogue“ in Indien für Gelächter gesorgt. Er behauptete, Rußland sei bemüht den Krieg zu stoppen. Zitat: “The war, which we are trying to stop, which was launched against us using Ukrainian people, of course, influenced the policy of Russia, including energy policy,...“ he said, briefly stumbling over his words as people in the audience laughed. [Quelle]


Das geschah während einer Konferenz mit überaus illustrer Runde. Man findet die Speakers 2023 hier aufgelistet: [Link] (NOTE: List updated as of 05/03/2023)

Muß ich annehmen, daß Lavrov doof ist? Keineswegs! Er vertritt bloß konsequent die Legitimations-Legende seiner Gang. Ich nehme an, er gehört zu jenem engeren Kreis um Putin, zu jener Clique, die womöglich zwei Optionen hat, wenn dieser ganze Feldzug gegen die Ukraine schiefgeht.

Version A: die Clique wird – samt Chef - von Putins eigenen Prätorianern gefressen, weil deren Ansprüche nicht mehr bedient werden können. Version B: Sie kriegen eine Reisetasche und ein Ticket nach Den Haag in die Hände gedrückt. (Ich bin neugierig, ob sich noch eine Version C abzeichnet. Zum Beispiel: Exil in China?)

+) Eurasien