19. März 2023

Meine Rede an die Nation

Es war eine „Rede zur Zukunft der Nation“. Das Transkript umfaßt 30 Seiten und endet mit: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, Österreich 2030 ist es wert alle Leidenschaft Energie und Kraft hineinzustecken, packen wir es an, das wird unser Zukunftsplan für Österreich 2030.“

Ich hab mir damit Zeit gelassen, um meine Eindrücke zu sortieren. Auf der vorletzten Seite heißt es: „Da kommt ein Satz vor, der aus meiner Sicht so gut ausdrückt, was uns ausmacht in Österreich: Keine Angst vor irgendwas oder irgendwem.“ Das steht in einem kuriosen Kontrast zur ersten Seite. Da kommt bei den rund 2.000 Zeichen Text das Wort Angst sieben mal, das Wort Krise sechs mal vor.


Nein, Herr Nehammer wird nicht von Visionen heimgesucht. Der ganze Text hat ein Niveau, das mich bei einem Maturanten gefreut hätte; so im Sinn von: „Hat er ganz gut gemacht, der junge Mann.“ Aber der Bundeskanzler? Ich erinnere mich noch gut an Wahlkampfzeiten in der Ära Sebastian Kurz. Die Angriffslust und die polemische Beißkraft von Herrn Nehammer fand ich beunruhigend. Das ist nicht staatsmännisch, dachte ich, so ein Verhalten schließt ein höheres Amt aus.

Man sieht, was meine Expertise taugt. Wenig. In dieser Zeit mit all ihren Umbrüchen, den Corona-Erfahrungen und dem Krieg in der Ukraine hätte ich mir für derlei Momente einen Staatsmann gewünscht und bekam einen Prokuristen. Einen Prokuristen der Firma ÖVP, wie er zu einer Belegschaft gesprochen hat.

Nein, er ist kein Rhetor. Seine Beredsamkeit hat für mich etwas von lustloser Seniorenanimation, wovon ich mich mit meinen nun 67 Jahren ja angesprochen fühlen sollte. Also ging ich in Gedanken das politische Personal der Zweiten Republik durch. Wie waren dabei leider nie reich an großen Geistern. (Das hängt wohl auch mit dem treu gepflegten Volkssport der Intellektuellenfeindlichkeit zusammen.) Mein Fazit: Im Vergleich zu Herrn Nehammer erscheint mir Fred Sinowatz wie ein Slavoj Zizek der österreichischen Regierungsmannschaften.

Ich gebe noch ein Nehammer-Beispiel, um meine Rezension zu belegen, mehr ist mir emotional nicht möglich. Zum Stichwort Bombenangriff sagte Herr Nehammer: „Das Dramatische ist, gerade jetzt in diesen Stunden, das ist noch viel zu oft so. Es trifft immer die Unschuldigen zuerst, die Schwachen, die Gebrechlichen.“

Das ist so sagenhaft plump, da möchte man in Tränen ausbrechen. Ganz nebenbei bemerkt, wäre er ein wenig belesen, wüßte er, daß Drama die Gattungsbezeichnung ist, innerhalb derer ein Stück beispielsweise eine Tragödie oder Komödie sein könnte. Was also „dramatisch“ sei, bleibt nebulös.

Wie erwähnt, ein Prokurist mutet mir als „Rede zur Zukunft der Nation“ einen Aufsatz auf Maturanten-Niveau zu. Ich hoffe, regionale ÖVP-Gefolgschaft, von der ich manchmal belehrt werde, hat diesmal genug intellektuelle Selbstachtung, so einer Zumutung nicht zu applaudieren. Man ist heute – am „Josefitag“ - ohnehin damit befaßt, den steirischen Landespatron zu feiern. Das bezieht sich auf den Heiligen Josef, Zimmermann und Gespons von Gottesmutter Maria.


Roland Reischl berichtete übrigens zu Jahresbeginn in der „Woche“ nichts weniger als: „FPÖ fordert: Josefitag soll wieder zum großen steirischen Festtag werden“. [Quelle] Die Freiheitlichen, hochrangige Spezialisten für Vergangenes, haben ja dieser Tage in Niederösterreich einen speziellen Coup gelandet.

Am 13.3.23 beichtete „Der Standard“ noch: „Die FPÖ Niederösterreich hat sich übers Wochenende zur Klarheit durchgerungen: Sie verspricht, Johanna Mikl-Leitner definitiv nicht zum Amt der Landeshauptfrau zu verhelfen. Auch nicht passiv.“ [Quelle]

Am 17.3.23 berichtete die „Presse“ allerdings: „ÖVP und FPÖ haben sich auf ein gemeinsames Regieren in Niederösterreich geeinigt“. [Quelle] Österreichische Politik ist eben sehr wesentlich auch ein Geschäftsmodell. Was solche Leute für unser aller Zukunftsfähigkeit tun können, sehe ich noch nicht. Aber sie sorgen jedenfalls dafür, daß wir eine Vergangenheit haben.

+) Das Reden-Transkript (PDF, 225 kb)
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