11. Dezember 2023

Leben in der Kunst V

Die Kunst als das Transzendente und die Kunstwerke als ihr Ausdruck bleiben ein Bereich der Conditio humana, in dem die Angelegenheiten nicht auf jene Art dingfest gemacht werden können, wie wir das in praktischen Belangen erwarten.

Manche halten das für die schlechte, ich aber für die gute Nachricht. Hier hat das symbolische Denken seine primäres Ereignisfeld, wo wir Möglichkeiten des Menschseins ausloten können, wie das in anderen Bereichen des Daseins nicht machbar ist.

Ich sehe die Wurzeln des Genres in der Tatsache, daß ausnahmslos jeder Mensch spirituelle und kulturelle Bedürfnisse hat. Bei einigen unter uns verbindet sich das mit besonderen Fertigkeiten, über die andere nicht verfügen.



Man sollte wenigstens seinen selbstgewählten Regeln folgen können..

Niklas Luhmann hat in seiner großen Arbeit über Fragen, was eine Gesellschaft sei und ausmache, der Kunst ein ganzes Buch gewidmet. Aus einem kuriosen Motiv.

Er notierte im Vorwort zu „Die Kunst der Gesellschaft“ seinen Zugang: „Und daß überhaupt von Kunst die Rede ist, liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt.“

Das ist ein wohltuend nüchterner Ausgangspunkt der Betrachtung. In der Folge sind die Ansichten darüber, was Kunst sei, sehr vielfältig, auch widersprüchlich. Es ist im Blick darauf ähnlich wie mit der Wissenschaft. Jede Annahme kann nur so lange gelten, bis eine überzeugendere Annahme auftaucht.

Das korrespondiert mit Karl Poppers Überzeugung, wir könnten Thesen nur falsifizieren, nicht verifizieren. Harald Lesch hat es in jüngerer Zeit so ausgedrückt: „Wir irren uns empor.“.



Kunst und Kunstfertigkeit sind zwei völlig verschiedene Kategorien.

Da die Kunst nicht dafür sorgen muß, daß zum Beispiel ein voll besetztes Flugzeug auf Kurs oben bleibt, statt runterzufallen, können wir in diesem Genre alle Möglichkeiten bis hinein ins Absurde erkunden. (Wenn der Geist zwischendurch einmal abstürzt, sollte ein neuer Aufstieg kein Problem sein.)

Ich stehe in einem Lager, wo die Frage nicht „Was ist Kunst?“ lautet, sondern „Wann ist Kunst?“ Das liegt in meiner Vorstellung von sehr dynamischen Verhältnissen. Wesentliche Denkanstöße dazu verdanke ich der Kunsttheorie von Boris Groys.

Er sieht zwei Sphären im Wechselspiel miteinander, das „kulturelle Gedächtnis“ und den „profanen Raum“. Über die Aufwertung (Valorisierung) oder Abwertung (Trivialisierung) von Werken wie Taten lassen sie sich dann dieser der jener Sphäre zuordnen. Das sind Deutungen und die Auffassungen wurden jeweils nicht in Stein gemeißelt.



Trivialisiertes: Deko-Material als Kunst-Surrogat.

Was einmal aufgewertet wurde, kann übrigens auch wieder trivialisiert werden. Groys hält fest: „Von keiner Sache, Form, Sprache oder kulturellen Gepflogenheit läßt sich also a priori sagen, ob sie nun zur hohen valorisierten Kultur gehört oder zum profanen Raum.“

Dazu kommt, daß es einem völlig frei steht, ob man Werke gemäß sinnlicher Erfahrung beurteilt oder nach den gerade aktuellen Regeln der Kunst. Das führt unausweichlich zu Situationen, in denen einem ein Werk vom sinnlichen Eindruck her völlig mißfallen kann, aber gemäß dem aktuellen Kunstdiskurs ein relevantes Kunstwerk ist; oder umgekehrt. Es kann einem etwas enorm gefallen, ginge aber in aktueller Debatte bloß als Dekorationsgegenstand durch.

Übrigens, weil das immer noch gerne mißbräuchlich zitiert wird, Joseph Beuys hat mit dem Hinweis, daß jeder Mensch ein Künstler sei, ausdrücklich den Konjunktiv gemeint. Er erklärte das auch selbst. Jeder Mensch könne ein Künstler sein, sei es aber nicht apriori. Möglichkeitsform. Deshalb kannte und nannte er auch Ausschließlungsgründe.

+) Kulturpolitik (Notizen)