12. Dezember 2023

Leben in der Kunst VI

Es gibt datierte Artefakte, die als Objekte gedeutet werden, welche keinem Alltagszweck gedient haben, sondern kultischer Natur sind. Gegenstände, die symbolisches Denken ausdrücken. Damit kommen wir derzeit auf einen Zeitraum von rund 70.000 Jahren.

Viele Objekte, die wir heute als Kunstwerke interpretieren würden, sind im Laufe der Zeit verlorengegangen. Ich nehme die Malerei in der griechischen Antike als Beispiel. Es soll imposante, großformatige Arbeiten gegeben haben. Aber das Material hielt den Jahren nicht stand.

Oder denken Sie an die griechische Plastik. Sie liefert unter anderem körperliche Ideale, die bis heute wirksam sind. Doch es gibt kaum Originale, wie etwa die Nike von Samothrake. Das meiste, was wir griechische Plastik wissen, stammt aus der Betrachtung alter Kopien und aus Beschreibungen.



Meine Landeskulturkonferenz (inklusive Ausstellung) in einer Autowerkstatt.

Apropos Beschreibungen! Der dokumentierte Kunstdiskurs ist in Europa naturgemäß nicht einmal annähernd so alt wie künstlerische Praxis. Durch Platon wissen wir, daß Sokrates die aufkommenden Schriftkultur energisch kritisiert und abgelehnt hat. Das Aufschreiben war für Sokrates keine Option.

Bei Platon selbst sieht das anders aus. Sonst wüßten wir heute ja nichts vom Denken dieser Männer. Er zeigte sich übrigens als ein strenger Kunstkritiker. Durch erhaltene Schriften wissen wir ferner, daß schon in der Antike leidenschaftlich gestritten wurde, ob eher jene Kunstwerke von Belang seien, die einen breiten Publikumsgeschmack treffen, oder ob bevorzugt werden soll, was kleine Kreise erlesener Kenner für Kunst halten.



Eine der Stationen im vormaligen Gleisdorfer "Einraum":

Dieser Streit ist bis heute unentschieden. Ganz einfach deshalb, weil er nicht entscheidbar ist. Es liegt auch nicht im Wesen der Kunst, genau solche Kontroversen zu bedienen. Wir haben jede Freiheit, ganz unterschiedliche Wahrnehmungserfahrungen zu machen und daraus vielfältige, auch gegensätzliche Schlüsse zu ziehen.

Wir haben jede Freiheit, uns darin uneins zu sein, was wir für Kunst halten. Dabei könnte einem dämmern, daß die Qualität des Themas genau in diesem permanenten Diskurs liegt, in einer Debatte, die nie endet. Wer denkt, man könne in solchem Streit jemanden „besiegen“, hat nicht verstanden, womit wir es da zu tun haben. Das immer wieder neue Erkunden dessen, was wir mit „Conditio humana“ meinen.

Sie lieben Ramsch? Wer sollte Ihnen das streitig machen? Sie bevorzugen Gebrauchsgrafik und gefällige Stoffe? Was spricht dagegen? Sie suchen die Irritation und möchten stets neu an die Grenzen Ihrer Kenntnisse kommen? Kein Problem! Ist verfügbar.



Wir haben Gleisdorf mit einigen überregionlalen Kunstprojekten verknüpft.

Wer sich unsicher fühlt, kann im Rahmen des etablierten Kunstkanons endlos hinreißende Werke finden, die prinzipiell außer Streit stehen. Wer seine vertrauten Kenntnisfelder sprengen will, bekommt dazu heute leichter denn je unterschiedliche Gelegenheiten.

Das bedeutet auf keinen Fall, diese ganze Sache mit der Kunst sei beliebig. Es besagt bloß, daß wir uns in einem Panorama von unglaublich kontrastreichen Konzepte und Werkräumen aussuchen können, was uns zusagt. Es wird nur dann Probleme aufwerfen, wenn jemand aus einem Lager die Leute in den anderen Lagern zu bedrängen versucht, ihnen die eigenen Ansichten eintrichtern möchte. Das ist erstens Unfug und zweitens ohne praktischen Nutzen, außer daß sich jemand in einer Hierarchie auf Kosten anderer Menschen nach oben strampeln will.

+) Kulturpolitik (Notizen)