14. Dezember 2023

Lob der Poesie und der Ernst des Lebens

Ich hab öfter betont, daß ich den Mangel an Esprit für einen strafbaren Tatbestand halte. Diese Vorstellung ist freilich nicht mehrheitsfähig. Sie ahnen gewiß, es würde allein ein beträchtlicher Teil unseres politischen Personals die Gerichte beschäftigen.

Ich erlebe seit Jahren, daß meine diesbezügliche Haltung oft gerade den bescheidensten Geistern Gründe bietet, gegen mich anzurennen; vorzugsweise öffentlich, was die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Verstandes nicht gerade verbessert.

Ich bin Autor. Da liegt es nahe, daß ich mit Teilen meiner Aktivitäten ins Licht der Öffentlichkeit trete. Was das aber ist, die Öffentlichkeit, hat sich ab 1990 radikal verändert. Davor sprachen wir von den Neuen Medien und von Medienkonvergenz. Einige von uns waren damals schon Netizens, aber es gab das WWW für uns noch nicht.



Doctor Jekyll and mister Krusche.

Spätestens ab 1992 war der Umbruch vollzogen, Österreich via TCP/IP mit den Internet, dem Netz der Netze, verwoben. Doch selbst zehn Jahre danach haben wir frühen Akteure der Netzkultur-Szene noch nicht kommen gesehen, was die Social Media sein und bewirken würden.

Heute wissen wir mehr. Was früher am Stammtisch laut werden konnte, hatte meist beschränkte Reichweite. Aber jetzt, da eine mediengenerierte Öffentlichkeit keine Gatekeeper mehr hat, außer jemand ist so doof, die „Gemeinschaftsregeln“ von Facebook etc. grob zu verletzen, heute kann wirklich jeder Mensch mit Webzugang an öffentlichen Diskursen teilnehmen.

Das tun dann auch Menschen, die dafür überhaupt nicht gerüstet sind. Aber so geht Demokratie. Von Adelheid Kastner, einer Fachfrau für forensische Psychiatrie, stammt der Satz „Die Dummheit schämt sich nicht mehr“.



Money for nothing and wine for free!

Gut, auch das ist ein Aspekt von Demokratie und von Antwortvielfalt. Sie werden freilich nicht überrascht sein, daß ich erstens eine blühende Deppen-Allergie habe und folglich zweitens im Lager von Cyrano de Bergerac stehe. Da setzt es was, wenn mir jemand auf solcher Ebene am Zeug flicken will. Sie kennen die Passage?

„Abseits werf ich meinen Filz / Und, damit ich Luft mir schaffe, / Auch den Mantel; denn nun gilt's. / Rüstiger als ein Schlaraffe / Greif ich meine blanke Waffe, / Und zu meinem Gegner sprech ich: / Sieh dich vor, geputzter Affe! / Denn beim letzten Verse stech ich.“ [Quelle]



Nein, kein Hamlet. Cyrano nach einem Theaterbesuch.

Na, selbstverständlich bin ich ein Verehrer des Cyrano, der sich nicht bloß streitbar zeigt, sondern auch ein unerschütterlicher Liebhaber der Dichtung ist. (Aber ebenso umgekehrt: ein Dichter der Liebhaber.) So und nicht anders kann gestritten werden: indem man Esprit zeigt. Alles übrige ist barbarisch.

Dazu der Teil meiner Notiz zum Thema „Im Falle von Beschimpfungen“. Zitat: „Falls Sie ein Bedürfnis verspüren, mich zu tadeln oder gar zu beschimpfen, ersuche ich höflich, dabei nicht unter das Niveau bisheriger Krusche-Beschimpfungen zu fallen, weil das meine Aufnahmefähigkeit sofort in einen Koma-Modus schalten würde. (Kognitives Spontan-Koma!)" Die komplette Notiz: [Link]

+) Kulturpolitik (Notizen)
+) Netzkultur (Übersicht)

Postskriptum
Posiesis bezeichnet ein In-die-Welt-Kommen von etwas, das vorher noch nicht dagewesen ist. Poesie erschöpft sich demnach nicht in Reimen, sondern weist uns über etwas Werdendes letztlich in die Transzendenz. Natürlich könnte man Abkürzungen suchen. Aber wozu?

Credits
Die Zeichnungen sind Ausshnitte aus Blättern von Heinz Payer.