24. Jänner 2024

Leser, Publikum und Followers

Ich glaube nicht daran, daß es für die Wissens- und Kulturarbeit vorrangig sei, eine möglichst hohe Zahl an Followers zu generieren. Das ist ein anderes Geschäftsmodell. Aber Publikum ist wichtig. (Ein Widerspruch?)

Was meint der Begriff Publikum? Und wie viel davon sollte ich gewinnen? Nicht jeglicher Zuwachs ist ein Vorteil. Ich beziehe meine Auffassung aus dem Kleinkunstbereich. Wer den Betrieb kennt, war sicher in realer sozialer Begegnung schon solchen Situationen ausgeliefert. Das Café ist leidlich gefüllt. Immerhin sind da gut acht bis zwölf Leute, die auf jeden Fall zuhören. Daneben zwei betrunkene Briten, die kein Wort Deutsch verstehen, sich aber wenigstens flüsternd miteinander unterhalten.



Mit Gedichten mitten in der Stadt: Wien, m Graben.

Im hinteren Dunkel des Raumes tratschen einige Einheimische ganz unbekümmert, was die Stimmung belastet und eine Lesung sehr erschwert, weil sie wechselhaft laut sind. Manchmal mit eher hohem Geräuschpegel, vor allem wenn dort grade was Lustiges gesagt wurde.

Danke für solche Leute, denen das alles egal ist, denn es war kein Eintritt zu bezahlen. Aber man kann sich bei Lesungen das Publikum nicht aussuchen. Es ist in meinem Milieu auch eine Frage der Berufsauffassung, daß man sowas durchsteht und die Lesung durchzieht. (Mit Klaus Kinsky hätten die Schnösel jetzt richtig harten Ärger gehabt.)

Haben wir es verabsäumt, in dieser Gesellschaft eine Ahnung vom Unterschied zwischen Andachtsübung und Respekt vor den Vortragenden zu vermitteln? Oder wäre das freudianisch zu entschlüsseln? Selbstachtung ist vermutlich eine wesentliche Vorbedingung, um von anderen Leuten geachtet werden zu können.



Einem großen Publikum muß man gewachsen sein.

Ich erinnere mich an eine Lesung in einem Kellerlokal in Wien, wohin ich mit Jürgen Rottensteiner eingeladen worden war. Unser Gastgeber Walter Schwarzlmüller bemerkte lapidar: „Wenn mehr als fünf Leute kommen, habt ihr zwei Auftrittsverbot. Dann lese ich selber.“

Ich erinnere mich andrerseits an einen gemeinsamen Auftritt von Erich Fried und Erwin Ringel. Eine riesige Sause und der Saal zum Bersten voll. Hat der selige Ernst Jandl einst Säle gefüllt? Ich nehme es nicht an. Es liegt wohl sehr an der individuellen Disposition, welche Dimension an Publikum man sich wünscht.

Als ich Ende der 1970er Jahre in Hamburg für verschiedene Blätter hauptsächlich über Musik und Kino geschrieben habe, galten dort Auflagen von 250.000 als üblich und banal. Damals hab ich junger Hupfer mir vorzustellen versucht, was geschehen würde, wenn davon wenigstens 40.000 bis 50.000 Leute meine Texte lesen würden.



Ich schätze minimalistische Momente und auch die Flüchtigkeit.

Wäre daraus eine interessante Wirkung auf meine Biographie zu erwarten gewesen? Gar nichts ist passiert. Ich fand es dann ohnehin weit bewegender, mit Nick Mason (Pink Floyd) zu plaudern, mit Eric Burdon über Rock & Roll zu reden, mit den Grandmothers of Invention (Zappas Ex-Band) nach einem Konzert zu saufen, Bob Dylan wenigstens aus etwas Distanz live zu sehen, solche Sachen.

Publikum? Ich vermute, das ist ein Phantasma, ein erträumtes Gegenüber, um sich bei der künstlerischen Arbeit nicht gar so einsam zu fühlen. Aber euch ein konkretes Umfeld für eine wechselseitige Beziehung, der man sich gewachsen erweist.

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