30. März 2024

Ist das so?

Ich mag annehmen, daß die Geringschätzung eine kleine Schwester des Hasses ist. Muß ich ebenso annehmen, daß Gewalttätigkeit auf Haß angewiesen ist? Ich bin vorerst noch der Ansicht, daß zwar Aggression naturgegeben ist, sogar lebensnotwendig, die Gewalttätigkeit aber nicht. Die halte ich für eine Anomalie unserer Spezies, als kulturelles Phänomen massentauglich gemacht.

Ich akzeptiere dabei keinen Vergleich mit wütenden oder verängstigten Tieren. So weit ich weiß, haben die ein Trieb-Repertoire, das davon handelt, nach einem auslösenden Impuls ein bestimmtes Programm abzuspulen. Das scheint mir essenziell und kategorial anders zu sein, als es menschliche Prägungen sind.



Selbstdefinition durch Feindmarkierung boomt.

Ich erfahre zwar gelegentlich von pathologischen Menschen, die eine unbezähmbare Grausamkeit in sich haben sollen, aber das ist nicht repräsentativ. Im Alltag habe ich es mit Leuten zu tun, die sich in Kontroversen mehr oder weniger harte Verfahrensweisen erlauben.

Ich staune stets neu über Menschen aus meinem Metier, denen es offenbar unmöglich ist, Dissens zu ertragen. Kulturleute, die auf Andersdenkende recht zügig losgehen müssen. Warum eigentlich? Ich vermute vor allem einmal: Spannungsabfuhr auf Kosten der Mitmenschen.

Was ich nun revidieren muß, ist meine Annahme, daß einen künstlerische Potenz oder Arbeit im Kulturbereich gegen solche Spielarten der Menschenverachtung wappnen könnte. Allerdings war mir ohnehin schon klar, daß künstlerische Qualität keinen „guten Menschen“ voraussetzt.



Angriffslust: Man könnte sich ja auf Argumente zur Sache beschränken...

Dissens zu ertragen ist offenbar auch bei gebildeten Leuten etwas aus der Mode gekommen, darin unterscheiden sie sich nicht mehr von den Hooligans. Spiralen. Ich vermute, das alles handelt von Spiralen, in denen die Wege zu dem stets gleichen Ziel führen, wenn man sich unterwegs nicht abzubiegen entschließt: Haß, die untergehende Sonne der Niedertracht.

Ich hab diese Zusammenhänge grade in meiner Leiste über den Rechtsruck im Kulturbetrieb in Arbeit. Den aktuellen Bezugsspunkt bilden heute ein paar Sätze, gegen die man Einwände vorbringen könnte, anstatt sie einfach vom Tisch zu wischen; siehe: „Rechtsruck: Trolle und Konsorten, Echo

Wenn ich mich frage, weshalb das nicht klappt, sondern ansatzlos derart grob verläuft, komme ich auf eine Ansicht des streitbaren Michel Friedman: „Die Voraussetzung von Streitkultur ist, daß man sich gegenseitig anerkennt.“'



Zugegeben, verkünden statt begründen spart Mühe.

Das markiert für mich einen wesentliche Aspekt, der offenbar in den letzten Jahren verstärkt wirksam geworden ist. Da ist wechselseitig etwas erodiert. Da wurde quer durch die Gesellschaft allerhand korrumpiert.

Ich hab 2020 nicht an die angebliche „Spaltung der Gesellschaft“ geglaubt. Wir waren doch davor schon eine pluralistische Massengesellschaft, was zwangsläufig von Lagerbildungen handelt; zumal wir als Spezies seit dem Neolithikum genau damit immer noch Probleme haben; nämlich mit so großen Gemeinschaften.

Deshalb das strenge Gebot des Gewaltverzichts. Deshalb die Notwendigkeit der Strategien gegen Spiralen des Unmuts. Selbst Europas Mythen erzählen uns von solchen Problemen. Daedalus, der seinen Neffen aus Eifersucht umzubringen versuchte. Kain, der seinen Bruder aus Eifersucht ermordete. Michel Friedman hat es so formuliert: „Der Haß ist immer hungrig.“

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