12. Mai 2025

Nie wieder?


Als Autor bin ich der Semantik verfallen. Ich muß stets Klarheit finden, was genau ein Wort bezeichnet. Ich muß auch wissen, was ich tue, wenn ich diesen Zusammenhang aufbreche oder wenn ich ihn verwische.

Menschen brauchen im Alltag nicht zu wissen, wofür die Worte „Text, Kontext und Subtext“ stehen, sie nutzen diese Möglichkeiten einfach zur Kommunikation. Wo dieses Zusammenspiel stockt, tun sich Mißverständnisse auf. Das muß kein Malheur sein. Es kann sehr gut zu nächsten Klarheiten führen.


In diesen Zusammenhängen sehe ich die Kraft der Poesie wirksam. Eben weil Semantik nicht in Stein gehauen ist, weil wir an den Beziehungen zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten rütteln dürfen. So entstehen im besten Fall neue Wahrnehmungserfahrungen, tun sich neue Erkenntnisse auf.

Das etwa kann einem die Lyrik anbieten. Das empfehlen uns experimentelle Texte. Aber Sie können auch kleinen Kindern lauschen, wie sie mit der Sprache spielen, was gelegentlich sehr schöne Wortschöpfungen ergibt.

Dann wär da noch ein Genre, von dem ich nicht gar so viel verstehe und das mich stets mißtrauisch sein läßt. Die Propaganda und ihre etwas nettere Schwester, die Werbung. In diesen Disziplinen zählt eine Art der knappen Präzision, die bei Menschen etwas bestimmtes bewirken möchte. Wo die Lyrik ein freies Angebot für nächste Wahrnehmungserfahrungen ist, zeigt sich der Slogan als Hebeleisen, will die Losung zu Verhaltensänderungen führen.



Die Gleisdorfer Variante.

Ich habe keine Sympathie für Slogans, wie das Teile des Kulturvölkchens in einem überschaubaren Zeitfenster mittlerweile forciert haben. Da meine ich zum Beispiel, „Ohne Kunst und Kultur wird es still“. Das ist ungefähr so smart wie die Mitteilung „Das Wasser ist naß“, während ich überzeugt bin: Die Kunst schweigt nie! Nicht im KZ, nicht im Gulag, in keinem Knast.

Neuerdings boomt in der Steiermark: „Kulturland retten!“ Weil wir uns am Rand des Untergangs befinden? Das halte ich für eine frivole Übertreibung angesichts der Herausforderung durch eine nach rechts gerückten Politik. Wir sollten uns dieser Herausforderung stellen und gewachsen zeigen, anstatt so einen plakativen Alarmismus zu pflegen.

Ich kann mich auch dem Evergreen „Nie wieder!“ keinesfalls anschließen. Noch irritierender finde ich es, wenn jemand verlautbart: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ Was soll das bedeuten? Der Krieg ist da, der Faschismus ist zurück. Faktum.



Ein Posting von Gregor Gysi.

Beides unter anderem dadurch begünstigt, daß sich seit den 1980er Jahren eine Neue Rechte in Europa weitgehend ungestört entwickeln, entfalten und etablieren durfte. Sie hat sich ganz unverhüllt mit Gleichgesinnten in Rußland und in den USA verständigen wie auch verbünden können.

Da durften rund 40 Jahre ins Land gehen, ohne daß mir meine Leute mit markanten Gegenpositionen aufgefallen wären. Ich erinnere mich auch nicht, daß in meiner Gegend Warnrufe etwas bewegt hätten. In solchen Zusammenhängen sehe ich diesen neuen Faschismus gut im Sattel sitzen, während wir schon einen nächsten Kalten Krieg haben.

Der gewaltsame Untergang Jugoslawiens liegt noch nicht gar so lange zurück, da sehen wir diesseits des Ural, also in Europa, den nächsten heißen Krieg. Ich hab daher keine Ahnung, was jemand meint, wenn er oder sie dieses „Nie wieder!“ raushaut. Vielleicht ist es heute ein ähnlich räudiges Versatzstück wie das Cogito von Descartes; zu seiner Zeit eine wuchtige Ansage, aber heute ein etwas verstaubtes Artefakt aus dem Museum der Menschheitsgeschichte.

+) Stahlgewitter
+) Gedenken: Was zu tun!


[Kalender] [Reset]