Ich erinnere mich an eine Situation mit meinem
Bruder, der mir von einer Sache, die ihn bewegte,
grade das dritte Mal mit Verve erzählte. Auf meinen
Einwand
„Das kenne ich aber schon“ fuhr er
auf:
„Ja muß ich denn bei dir aufpassen, was ich
sage?“ „Das wär mir recht“, erwiderte ich und
er wurde wütend.
Wäre vielleicht noch zu
erwähnen, daß er der Urheber folgender rührender
Mitteilung ist:
„Was? Das interessiert dich
nicht? Na, das werde ich dir jetzt aber erklären.“
Deshalb meine ich heute, mein Bruder gehört zur
Avantgarde jener boulevardesken Geschwätzigkeit, die
heute offenbar ein kultureller Standard ist.
Ich bekomme daher aktuell in Gesprächen manchmal zu
hören:
„Das kann man doch auch einfacher
ausdrücken.“ Na freilich! Es steht einem frei,
Nuancen zu übergehen und den Holzschnitt zu
bevorzugen, wo eine feine Fotografie zu viel
Aufmerksamkeit verlangt.

Das ist ein wenig wie jenes alte
Zentrum-Provinz-Schema. Wie oft habe ich als
Bewohner der Provinz zu hören bekommen:
„Und
wann bist du einmal in Graz?“ Wenn ich
erwiderte, daß es nach Gleisdorf gleich weit sei,
endete so mancher Vorgang.
Ich möchte als
längst geklärt wissen, daß Sprache Realität erzeugt,
also das, was wir für real halten. Was der Fall ist,
muß sich damit nicht decken. Faktizität ist, was
sich im Außen ereignet, auf das meine innere Instanz
reagieren kann. In mir gibt es keine Fakten, die
sich beweisen ließen.
Sprache ist eine
Möglichkeit, mich mit anderen darüber zu
verständigen, was in mir vorgeht. Dann bietet etwa
auch die Kunst noch allerhand Mittel solcher
Verständigung zwischen Innen und Außen. Meine
künstlerische Domäne ist eben die Sprache.
Darum verzichte ich meistens darauf, etwas
„einfacher“ auszudrücken. Ich muß in meinem Metier
alle Möglichkeiten ausloten können. Andauernd. Sie
würden sich ja auch nicht wundern, wenn eine
Ballerina wenigstens 350 Tage im Jahr trainiert und
sich daher im Alltag anders bewegt als irgendwer.

Oder haben Sie sich schon einmal die Hände einer
Pianistin genauer angesehen? Niemand würde
vermutlich staunen, daß darin etwas anderes lebt als
in meinen Händen, die nach Jahrzehnten immer noch
ohne Zehnfingersatz auf die Tastatur einhauen.
Aber ich weiß schon, was da vom Boulevard
herkommt. Denken und sprechen kann doch jeder. Also
möge ich meine Mitmenschen nicht mit Komplexität und
Nuancen behelligen. Anders als die Ballerina, der
Dinge gelingen, die ohnehin kaum wer schafft, stören
meine Schaltkreise das, was eh jeder tut - das
Denken und Sprechen - mit Interferenzen.
„Und
wann bist du einmal in Graz?“ Oder genauer:
„Kannst du das nicht einfacher ausdrücken?“
Nein, kann ich nicht.