1. August 2025

Randnotizen


Ich bin oft kein sehr geselliger Mensch und dann doch. Eine Abend-Session in der Poststation, wo die Ausstellung „Tage danach“ ins Finale geht, hat mir dazu die passenden Bedingungen geboten.

Wenn ich nach draußen geh, falls ich nicht vorhabe im Gestrüpp herumzusteigen, brauche ich die Gesellschaft von geistreichen Menschen, deren Leben von anderen Belangen handelt als mein Leben. Ansonsten ist es mir lieber, daß ich zuhause bleiben. Denn was mein Leben hergibt, das kenne ich ja schon.


Ich erinnere mich an eine Situation mit meinem Bruder, der mir von einer Sache, die ihn bewegte, grade das dritte Mal mit Verve erzählte. Auf meinen Einwand „Das kenne ich aber schon“ fuhr er auf: „Ja muß ich denn bei dir aufpassen, was ich sage?“ „Das wär mir recht“, erwiderte ich und er wurde wütend.

Wäre vielleicht noch zu erwähnen, daß er der Urheber folgender rührender Mitteilung ist: „Was? Das interessiert dich nicht? Na, das werde ich dir jetzt aber erklären.“ Deshalb meine ich heute, mein Bruder gehört zur Avantgarde jener boulevardesken Geschwätzigkeit, die heute offenbar ein kultureller Standard ist.

Ich bekomme daher aktuell in Gesprächen manchmal zu hören: „Das kann man doch auch einfacher ausdrücken.“ Na freilich! Es steht einem frei, Nuancen zu übergehen und den Holzschnitt zu bevorzugen, wo eine feine Fotografie zu viel Aufmerksamkeit verlangt.


Das ist ein wenig wie jenes alte Zentrum-Provinz-Schema. Wie oft habe ich als Bewohner der Provinz zu hören bekommen: „Und wann bist du einmal in Graz?“ Wenn ich erwiderte, daß es nach Gleisdorf gleich weit sei, endete so mancher Vorgang.

Ich möchte als längst geklärt wissen, daß Sprache Realität erzeugt, also das, was wir für real halten. Was der Fall ist, muß sich damit nicht decken. Faktizität ist, was sich im Außen ereignet, auf das meine innere Instanz reagieren kann. In mir gibt es keine Fakten, die sich beweisen ließen.

Sprache ist eine Möglichkeit, mich mit anderen darüber zu verständigen, was in mir vorgeht. Dann bietet etwa auch die Kunst noch allerhand Mittel solcher Verständigung zwischen Innen und Außen. Meine künstlerische Domäne ist eben die Sprache.

Darum verzichte ich meistens darauf, etwas „einfacher“ auszudrücken. Ich muß in meinem Metier alle Möglichkeiten ausloten können. Andauernd. Sie würden sich ja auch nicht wundern, wenn eine Ballerina wenigstens 350 Tage im Jahr trainiert und sich daher im Alltag anders bewegt als irgendwer.

Oder haben Sie sich schon einmal die Hände einer Pianistin genauer angesehen? Niemand würde vermutlich staunen, daß darin etwas anderes lebt als in meinen Händen, die nach Jahrzehnten immer noch ohne Zehnfingersatz auf die Tastatur einhauen.

Aber ich weiß schon, was da vom Boulevard herkommt. Denken und sprechen kann doch jeder. Also möge ich meine Mitmenschen nicht mit Komplexität und Nuancen behelligen. Anders als die Ballerina, der Dinge gelingen, die ohnehin kaum wer schafft, stören meine Schaltkreise das, was eh jeder tut - das Denken und Sprechen - mit Interferenzen. „Und wann bist du einmal in Graz?“ Oder genauer: „Kannst du das nicht einfacher ausdrücken?“ Nein, kann ich nicht.


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