28. August 2025
Worte
Ich ziehe mich vor der sommerlichen Tageshitze gerne
unter Bäume zurück. Die Stadt hat viel zu wenig Schatten,
aber immerhin stellenweise dichtes Laubwerk. Da gibt es
einige Plätze, wo man beim Lesen eines Buches gut aufgehoben
ist.
Gras unter meinen Füßen. Einige spielende
Kinder. Es liegen Äpfel herum, von denen eine alte Frau
welche aufhebt, um sie an eines der Kinder weiterzugeben.
Der Verkehrslärm dringt nur recht dünn zu diesen Platz
durch.
Dann der Moment, wo ein kleines Mädchen auf
mich zukommt. Ich tippe auf etwa fünf Jahre, knapp vor der
Volksschulzeit. Ich sag „Hallo!“ und die Kleine legt ihre
Hand auf meinen Unterarm. Dessen Behaarung scheint sie zu
interessieren.

Als wir eine Unterhaltung beginnen, muß ich erst
kurz grübeln, was da geschieht. Die Kleine hat
offenbar fast nur Selbstlaute zur Verfügung,
Mitlaute kommen in ihren Äußerungen eigentlich nicht
vor. Das ist eine Kommunikationssituation für
Fortgeschrittene. Einmal legt sie ihre Hand in mein
Gesicht. Dann deutet sie zur Baumkrone über uns.
Ich sag der Kleinen direkt, daß ich fast nichts
verstehe. Sie wiederholt einige Passagen. Dann
drückt sie ihren Kopf an meinen Oberarm. Es fühlte
sich an, als würde sie mich umarmen, wofür ich
freilich mehr als zweimal zu groß bin.
Ihre
Art zu sprechen läßt mich an die Maori denken, denn
deren Sprache hört sich für mich stellenweise so an,
als würden die gleichen Laute mehrfach gruppiert, um
einen Begriff zu bilden. So kann man da etwa
Kamehameha heißen. Zur Begrüßung sagen sie
Kia Ora und wenn etwas schön anzusehen ist,
heißt das Rerehua. Ziemlich viele
Selbstlaute im Wortschatz von Te Reo Maori.
Was, wenn das Mädchen sprachlich auf solche Art
getaktet ist? Als ihr Vater lachend ankommt, um die
Kleine zu holen, vermeide ich eine Frage danach. Es
reicht völlig, daß er gesehen hat, wie gut wir uns
unterhalten. Für einem flüchtigen Moment durfte ich
Gast auf einem Terrain sein, von dem ich nichts
weiß. Ich war für Augenblicke sehr willkommen. Da
gibt es nichts zu fragen.
Aber zuhause hab
ich mich dann umgesehen. Es ist eine Dyspraxie, die
bewirkt, daß Worte im Kopf des Mädchens ganz korrekt
gebildet werden können, aber der Mund macht dann
nicht mit sie auszusprechen. Da hat sie nun
ausgerechnet mich Sprachbesessenen als Gast in ihre
Nische hereingeholt, in eine empfindliche Welt,
deren Worte anders gewichtet sind als meine.
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