Aber wer hätte mir seither mehr darüber erzählt oder
gar mit Taten einen Weg gewiesen? Wo fand ich mich
in vertrauten Zusammenhängen, wenn ich das Thema
real gestreift hab? Da umringte mich nur Schweigen.
Etwa als mein krebskranker Vater austherapiert war
und nachhause gebracht wurde. Dort mußte er bis zu
seinem Tod rund um die Uhr betreut und gepflegt
werden. Ich war Teil des Quartetts, das sich dieser
Aufgabe annahm.
Das erinnert mich an Momente,
da haben sich selbst Professionals von manchen
schweren Situationen abgewandt, in denen ich ja
schlecht wegrennen konnte. Ich habe in dieser Zeit
viel gelernt. Zum Beispiel, daß ich solche
Verantwortung tragen und für einen Menschen sorgen
kann. Aber das wäre mir garantiert leichter
gefallen, wenn es in unserer Gesellschaft eine
soziale und kulturelle Praxis geben würde, die man
als zeitgemäße Form der Ars moriendi erleben könnte.
Nun las ich eben das
Nein des Innsbrucker
Bischofs Hermann Glettler zu Glattauers Schritten.
Der habe, so Florian Klenk im Falter,
„sein Sterben
öffentlich zur Schau gestellt“ und das Blatt eine
„mediale Grenzüberschreitung“ begangen, weil man ihm
die Plattform dafür bot. Ich finde diesen Kommentar
des Bischofs gleichermaßen provokant wie anmaßend.
Schaustellerei? Was für eine Unterstellung! Zwar
verstehe ich, daß der Kleriker pro domo argumentiert
und sich da vor allem einmal an sein eigenes
Klientel wendet. Das muß ihm freistehen. Dieser
Bischof steht seiner Gemeinde vor, mag da die
Autorität haben, so zu sprechen. Gegenüber der Welt
bedeutet das aber wenig und er muß sich einer
Debatte stellen, wenn er Glattauers Weg
„Schaustellerei“ nennt und eine
„Grenzüberschreitung“ Das mögen seine Grenzen sein,
meine sind es nicht.

Es steht ihm daher ebenso frei, sich von solchen
Ereignissen abzuwenden, falls die ihm ein Ärgernis
sind. Dagegen halte ich die Kühnheit, dieses
Geschehen eine
„Unkultur“ zu nennen, für eine
erhebliche Grenzüberschreitung. Mein Herr! Sie sind
nicht befugt, solche Urteile zu fällen, wo jemand
wie Glattauer leistet, was uns bedeutende
Institutionen der Gesellschaft schuldig bleiben. Er
hat den Schleier von eine Tabu gehoben. Klug,
maßvoll und mit reichlich Mut.
Ich erzähle
Ihnen bei Bedarf gerne, was man zum Beispiel über
Altenpflegeheime in Österreich wissen kann, wovon
derzeit viele völlig unterbesetzt sind, deren
Personal folglich permanent überlastet ist. Da sind
zahlreiche Häuser, wo für Hilfsbedürftige nicht
angemessen gesorgt werden kann, weil die Mittel
fehlen und die Rahmenbedingungen unzureichend sind.
In einem Metier, dessen Pflegepersonal eine
erschreckend hohe Dropout-Quote hat.
Mein
Herr! Sind sie uns offenbar keine Hilfe, diese
Themen angemessen öffentlich zu machen und die
berechtigte Furcht vieler Sterbender vor ihrer
Einsamkeit in unserer Gesellschaft zu mildern. Ich
bin in meinem 70. Jahr angekommen, sie nur ein paar
Jahre jünger als ich. Wenn Ihre Stunde kommt, mag
für Sie gesorgt sein. Für mich darf ich davon nicht
ausgehen.
+)
Quelle der Zitate: Falter+)
Meine Glosse „Alter Mann“ unter „Ein Mensch“
PostskriptumAber Sie wissen
schon, daß der einstige Wanderprediger Jesus von
Nazareth seinen
Häschern hätte entkommen können? Doch er beschloß,
sich einem Schauprozeß auszuliefern und einer
spektakulären Hinrichtung, um seinem Gott ein Opfer
anzubieten.