10. September 2025

Über das Sterben


Ich habe sehr bewegt und mit großem Interesse gelesen, auch durch einen Videoclip gehört, was Niki Glattauer öffentlich zu sagen hatte. Meine Verbeugung vor dieser unaufgeregten, klaren Position! Seine unheilbare Krankheit, das Schmerzlevel, mit dem er deshalb noch rechnen mußte, auch die Aussicht auf eine eher üble Art des Krepierens, haben ihm Entscheidungen abverlangt.

Ich setze als bekannt voraus, wie diese Entscheidungen ausfielen. Nämlich zugunsten eines Freitods unter geordneten Bedingungen, von versierten Händen begleitet. Glattauer zog es vor, einen sanften Tod zu suchen, statt zu verrecken. Er bestimmte ferner, sich nicht in ein Kämmerchen schieben zu lassen, um seinen Mitmenschen allfällige Ungelegenheiten zu ersparen.

Sein Sterben wurde zu einem Beitrag im öffentlichen Diskurs. Glattauer gab uns ein Beispiel, wie man uns allen aus primärere Betroffenheit heraus eine Idee vorlegen kann. Eine mögliche Antwort auf die Frage: „Wie sollte eine Ars moriendi heute angelegt sein?“ Dabei ginge es nicht nur um die Todesart, sondern sehr wesentlich auch um deren Rahmenbedingungen.

Ich spreche ab hier nur für mich!
Glattauer hat mich an etwas teilhaben lassen, was gesamtgesellschaftlich offenbar ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Es gibt diese „Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen“. Der fulminante Norbert Elias hat dem Thema 1982 ein Buch gewidmet, das ich zur Lektüre empfehle.



Nikolaus Glattauer, † 4. September 2025. (Foto: Gisela Ortner, CC BY-SA 2.0)

Aber wer hätte mir seither mehr darüber erzählt oder gar mit Taten einen Weg gewiesen? Wo fand ich mich in vertrauten Zusammenhängen, wenn ich das Thema real gestreift hab? Da umringte mich nur Schweigen. Etwa als mein krebskranker Vater austherapiert war und nachhause gebracht wurde. Dort mußte er bis zu seinem Tod rund um die Uhr betreut und gepflegt werden. Ich war Teil des Quartetts, das sich dieser Aufgabe annahm.

Das erinnert mich an Momente, da haben sich selbst Professionals von manchen schweren Situationen abgewandt, in denen ich ja schlecht wegrennen konnte. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt. Zum Beispiel, daß ich solche Verantwortung tragen und für einen Menschen sorgen kann. Aber das wäre mir garantiert leichter gefallen, wenn es in unserer Gesellschaft eine soziale und kulturelle Praxis geben würde, die man als zeitgemäße Form der Ars moriendi erleben könnte.

Nun las ich eben das Nein des Innsbrucker Bischofs Hermann Glettler zu Glattauers Schritten. Der habe, so Florian Klenk im Falter, „sein Sterben öffentlich zur Schau gestellt“ und das Blatt eine „mediale Grenzüberschreitung“ begangen, weil man ihm die Plattform dafür bot. Ich finde diesen Kommentar des Bischofs gleichermaßen provokant wie anmaßend.

Schaustellerei? Was für eine Unterstellung! Zwar verstehe ich, daß der Kleriker pro domo argumentiert und sich da vor allem einmal an sein eigenes Klientel wendet. Das muß ihm freistehen. Dieser Bischof steht seiner Gemeinde vor, mag da die Autorität haben, so zu sprechen. Gegenüber der Welt bedeutet das aber wenig und er muß sich einer Debatte stellen, wenn er Glattauers Weg „Schaustellerei“ nennt und eine „Grenzüberschreitung“ Das mögen seine Grenzen sein, meine sind es nicht.


Es steht ihm daher ebenso frei, sich von solchen Ereignissen abzuwenden, falls die ihm ein Ärgernis sind. Dagegen halte ich die Kühnheit, dieses Geschehen eine „Unkultur“ zu nennen, für eine erhebliche Grenzüberschreitung. Mein Herr! Sie sind nicht befugt, solche Urteile zu fällen, wo jemand wie Glattauer leistet, was uns bedeutende Institutionen der Gesellschaft schuldig bleiben. Er hat den Schleier von eine Tabu gehoben. Klug, maßvoll und mit reichlich Mut.

Ich erzähle Ihnen bei Bedarf gerne, was man zum Beispiel über Altenpflegeheime in Österreich wissen kann, wovon derzeit viele völlig unterbesetzt sind, deren Personal folglich permanent überlastet ist. Da sind zahlreiche Häuser, wo für Hilfsbedürftige nicht angemessen gesorgt werden kann, weil die Mittel fehlen und die Rahmenbedingungen unzureichend sind. In einem Metier, dessen Pflegepersonal eine erschreckend hohe Dropout-Quote hat.

Mein Herr! Sind sie uns offenbar keine Hilfe, diese Themen angemessen öffentlich zu machen und die berechtigte Furcht vieler Sterbender vor ihrer Einsamkeit in unserer Gesellschaft zu mildern. Ich bin in meinem 70. Jahr angekommen, sie nur ein paar Jahre jünger als ich. Wenn Ihre Stunde kommt, mag für Sie gesorgt sein. Für mich darf ich davon nicht ausgehen.

+) Quelle der Zitate: Falter
+) Meine Glosse „Alter Mann“ unter „Ein Mensch“

Postskriptum
Aber Sie wissen schon, daß der einstige Wanderprediger Jesus von Nazareth seinen Häschern hätte entkommen können? Doch er beschloß, sich einem Schauprozeß auszuliefern und einer spektakulären Hinrichtung, um seinem Gott ein Opfer anzubieten.


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