21. September 2025

Über die Muße


Es kommt selbstverständlich vor, daß ich auf einer Wiese liege und in Baumkronen blicke. Die Heimwerkervariante in Sachen Muße wäre dagegen: Ich liege auf der Couch und blicke zur Decke.

Das steht im Kontrast zu den Prinzipien einer durchökonomisierten Gesellschaft, in der Selbstoptimierung als heimliche (für manche heilige) Pflicht gilt. Ich suche dagegen regelmäßig einen Zustand, in dem ich nichts Bestimmtes denke, sondern einfach nur fließen lasse, was mir in die Sinn kommt.

Das nannte man in der Antike Otium: Muße; als das Gegenteil von Negotium: Arbeit. Fällt Ihnen etwas auf? Der Begriff für Muße lautete also keineswegs „Nichtarbeit“, sondern die Arbeit war „Nichtmuße“. Dann wäre da diese zeitlose Behauptung: „Müßiggang ist aller Laster Anfang“.

Ein Beispiel
Franz Gsellmann war ein oststeirischer Bauer, der die „Weltmaschine“ gebaut hat. Eine komplexe Apparatur ohne praktischen Nutzen für den Alltag. Das war in der alten agrarischen Welt insofern radikal, als es für Müßiggang in solchem Umfang eigentlich keinen Platz gab.

Aus ethischen und aus rationalen Gründen, denn die meist kleinen Selbstversorger-Wirtschaften der Oststeiermark brauchten jede verfügbare Arbeitskraft, um die Familie durchs Jahr zu bringen. Als ich mich einmal mit Gsellmanns Schwiegertochter Maria unterhalten konnte, sprach ich das an.

Sie erwähnte: „Was habe ich in meinem Leben gearbeitet und mich gefürchtet.“ Das bedeutet, sie habe sich viele Sorgen gemacht. Ich sagte fragend: „Und wer sich nicht geschunden hat, hat nichts gegolten.“ Maria Gsellmann darauf: „Wer sich nicht geschunden hat, hatte nichts zu essen.“ „Im Nebenerwerb?“ fragte ich. „Nein, alles im Vollerwerb“, antwortete sie. „Es hat hier ja sonst keine Arbeit gegeben.“

Solches Arbeitsethos hat eine seiner Wurzeln in der Renaissance, als eifrige Sekretäre ihren Fürsten kleine Denkschriften verfaßten, in denen Vorschläge standen, wie man das Volk bewegen könne, mehr zu arbeiten als unbedingt nötig sei.

Der Zusammenhang ist so klar, daß er einem mitunter nicht auffällt. Erst mit einer tauglichen Geldwirtschaft und einem funktionierenden Bankenwesen wurde es möglich, Arbeitsleistung in ein Medium zu konvertieren, sie zu „parken“, ein Vermögen aufzubauen. Dieses Medium (Geld) konnte dann, wenn man so wollte, wieder in andere Formen konvertiert werden, in materielle oder immaterielle Güter; wahlweise kann Geld Geld verdienen.

Das war damals neu. Davor ließen sich Schätze nur beschränkt aufhäufen, mußten gelagert, gesichert und bewacht werden. Ursprünglich hatten Gemeinschaften nur wenige Möglichkeiten, Erworbenes oder Erbeutetes zu konservieren. Da wurde dann so mancher Mehrwert in Gemeinschaft rituell verbraucht. Es gab bei verschiedenen Ethnien ausgeprägte Verschwendungs-Ökonomien und Geschenk-Kulturen.

Blickt man weiter zurück, findet man im zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher eine „Zurechtweisung der Müßiggänger“. Da heißt es: „Denn als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ [2. Thess 3,10] (Wäre interessant, das auf mit Blick auf den Wanderprediger Jesus zu erörtern.)

All das läßt aktuell daran denken, daß stets neu zu klären wäre: a) Was verstehen wir unter Arbeit? b) Wie steht es bei der vorliegenden Produktivität unserer Gesellschaft um Verteilungsgerechtigkeit?


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