the long distance howl / ncv / seite #12

Eine Frage der Professionalität

Abgesagt. Abgesagt. Abgesagt. Inzwischen ein Standardmotiv unseres Kulturbetriebs. Aber auch eine Paraphrase gewohnter Verläufe. Wer nicht bloß als Vortragender Künstler engagiert wird, sondern sich auch selbst in die Wissens- und Kulturarbeit schmeißt, wie das bei Oliver Mally der Fall ist, kennt den Modus.

Du entwickelst fünf Projekt-Ideen oder sogar ein paar mehr, um dann die Hälfte davon jemandem vorlegen zu können. Geht alles gut, wird meist bloß eine der Ideen in die Umsetzung gelangen. Wenn Du dann a) professionelle Grundlagen einbringst und b) mit den Projektpartnerschaften kein Pech hast, läßt sich die geleistete Arbeit bezahlen.


Wie man Pech haben kann? Na, mindestens mit Dampfplauderern und Posierern, mit Trittbrettfahrern und Wegelagerern, die einem allerhand bis alles zusagen und eher nichts halten. Davon hat der heimische Kulturbetrieb ein reiches Angebot.

Aber das ist eben auch ein Aspekt von Professionalität, daß man immer feinere Kriterien entwickelt, um solche Nutznießer früh genug zu erkennen, wahlweise die verläßlichen Leute sehen und von Dampfplauderern unterscheiden zu können.

Die Covid-19-Pandemie hat manches verschärft, trennt aber auch Spreu vom Weizen. Derzeit ist das eine Frage des ökonomischen Überlebens aller geworden, ob sich Paktfähigkeit oder das Trittbrettfahren durchsetzt.

Der grimmige Witz dabei: wer einen Coup zu eigenen Gunsten landet und dabei einen Projektpartner untergehen läßt, beschädigt den Boden, auf dem er selbst steht; anders ausgedrückt, bohrt am Eis, das auch ihn trägt. Das haben keineswegs alle in der Branche kapiert.

Ich will hier den Begriff Solidarität nicht strapazieren, weil dieses Wort während der letzten Monate dermaßen breitgewalzt wurde, daß es vorerst keine Aussagekraft mehr hat. Aber Paktfähigkeit scheint mir passend: zu meinen, was man sagt, einzuhalten, was vereinbart wurde.

Mally hat das auf der praktischen Ebene präzisiert: im Fluß bleiben. Tätig bleiben. Wenn dies nicht klappt, das angehen. Wir Freelancers sind gewöhnlich trainiert, einen Plan B und einen Plan C zu haben. Sonst säuft man ohnehin ab.

Das war schon vor Corona unverzichtbar. Mally hat in einem unserer Gespräche einen interessanten Punkt betont. Wenn Gigs ausfallen, Strukturen wegbrechen, Gagen schrumpfen, wird jemand natürlich kurz auf andere Felder ausweichen müssen, um sein Brot zu verdienen.

Aber! „Manche kommen mir jetzt vor, als hätten sie den Beruf gewechselt.“ Das berührt einen Punkt, der in unserem Metier schon lange unscharf gehalten wurde: Künstler zu sein als Beruf. Profession. Das hat inhaltliche Aspekte. Das hat soziale Aspekte. Der Broterwerb, das Geldverdienen, ist keine Kategorie der Kunst, sondern eine soziale Kategorie.

Von „Berufung“ schwafeln eigentlich vor allem Hobbykünstler und Bildungsbürger. Was soll das sein? Nennen wir die eigentliche Kraft: Obsession. In die Kunst zu gehen, als Künstler zu leben, ist etwas Obsessives. Dazu hat man dann besser auch Talent und entwickelt beides über kontinuierliche Arbeit.

Und fangen Sie mir bloß nicht zu „beuyseln“ an. Josef Beuys wird gerne fälschlich zitiert. Seine Aussage lautete war, jeder Mensch sei ein Künstler, doch er hat es präzisiert. Im Sinne von: könnte es sein. Möglichkeitsform! (Beuys hat schlechte künstlerische Arbeit als problematisch bis unerheblich ausgewiesen. Nicht jeder, der es möchte, wird tatsächlich Künstler.)

In der Praxis erweist sich also, daß sich keinesfalls jeder Mensch als Künstler oder Künstlerin hervortun kann, dazu eignet. Talent. Obsession. Ideen. Handwerk. Kontinuierliche Arbeit. Da muß schon allerhand zusammenkommen, damit es Relevanz bekommt.

+) Zu Beuys, Kunst etc. siehe Logbuch-Eintrag vom 28. März 2019!

+) Blues-Tage-Poster

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