next code: flow / documentation #6

Erwin Fiala

Eröffnungsvortrag zur Ausstellung „next code: flow“ („1 von 3“)
Kulturkeller am Weizberg, 9. 11. 07
(Überarbeitete und stellenweise ergänzte schriftliche Fassung.)

Angesichts der Eröffnung der Ausstellung „next code: flow“ („1 von 3“) in den Gewölben am Weizberg werde ich drei Themenbereiche bzw. Fragestellungen wenigstens kursorisch ansprechen: Die erste Frage „Was ist Kunst bzw. was ist postmoderne Kunst?“ kann natürlich bei jeder Ausstellung gestellt werden, aber sie drängt sich angesichts einiger experimentell und beinahe naturwissenschaftlich konzipierter Installationen hier besonders auf. Die anderen von mir thematisierten Fragen der „Identität“ und der Phänomene „Zeit“ bzw. „Geschwindigkeit“ folgen den expliziten Themenstellungen der ausgestellten Arbeiten.

dok06.jpg (31187 Byte)

Die Ausstellung „next code: flow“ („1 von 3“) verweist schon durch den Titel auf ihre eigentliche Funktion: Sie ist so etwas wie eine „Transit-Ausstellung“, ein Durchgangsstadium in einem weitergehenden künstlerischen Prozess, der sehr stark von Diskursen und Reflexionen getragen wird und deren Ausgang bzw. Ergebnisse eigentlich nicht vorhersehbar sind – in diesem Sinne handelt es sich um Versuche, um künstlerische Experimente – auch um das Experiment, erst einmal künstlerische Experimente selbst bzw. das Experiment „Kunst“ in Gang zu setzen.

Man könnte sagen: Kunst ist ein Experiment bzw. sie ist immer experimentell – und einige der hier gezeigten Exponate und Installationsarrangements kommen einer naturwissenschaftlich-experimentellen Versuchsanordnung scheinbar ja tatsächlich ziemlich nahe. Ich sage bewusst „scheinbar“ – denn die terminologische Übereinstimmung durch den Begriff des Experiments darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein wissenschaftliches Experiment etwas völlig anderes ist als ein künstlerisches: Ein wissenschaftliches Experiment intendiert die Bestätigung eines Gesetzes, es intendiert absolute Wiederholbarkeit und Regelmäßigkeit – es schließt also alles Unvorhersehbare und Zufällige aus, es ist nicht einzigartig.

Dagegen intendiert ein künstlerisches Experiment wenn möglich eine einzigartige Konstellation, es soll das Neue, Unvorhersehbare, das Zufällige und nicht Wiederholbare erfahrbar machen. Einerseits übernimmt die Kunst der klassischen Moderne die Konzeption des Experiments den wissenschaftlichen Methodenkanon, andererseits kommt ein neues Moment hinzu. So schreibt etwa Th. W. Adorno in der „Ästhetischen Theorie“: „Die Nötigung, Risiken einzugehen, aktualisiert sich in der Idee des Experimentellen, die zugleich die bewusste Verfügung über Materialien, wider die Vorstellung bewusstlos organischen Prozedierens, aus der Wissenschaft auf die Kunst überträgt. (…) Während der letzten Dezennien wurde überdies der Begriff des Experiments äquivok. Bezeichnete er noch um 1930 den durchs kritische Bewusstsein gefilterten Versuch, im Gegensatz zum unreflektierten Weitermachen, so ist unterdessen hinzugetreten, dass die Gebilde Züge enthalten sollen, die im Produktionsprozess nicht absehbar sind.“ (Adorno, Ästhetische Theorie, S. 62-63.) Diese unvorhersehbaren „Züge“, die hier gemeint sind, beschränken sich aber keineswegs – und dies sei hier festgehalten – auf die Mytheme des Subjektiven am Kunstwerk, im Gegenteil, es sind objektive Momente des „Unbestimmten“. (Wie Adorno anhand des Dadaismus expliziert, ist rein subjektive Kunst im wahrsten Sinne des Wortes „nichtssagend“. Vgl. dazu seine Ausführungen in der Ästhetischen Theorie, S. 51.)

Jedenfalls intendiert Kunst mittels einer Strategie des Experiments, das auch mit der Kategorie des „Neuen“ verbunden ist, eine so genannte „Originalität“ – obwohl das in Zeiten der medialen Simulation, also der paradoxen Konfiguration einer identischen Kopie ohne Original (wie Platon und Jean Baudrillard das „simulacrum“ definierten) eigentlich nicht möglich ist. Aber unabhängig von diesen spezifischen Fragen führt der Begriff des Experiments von einer Kunstphilosophie der Moderne zu einer Formulierung des postmodernen französischen Philosophen Jean François Lyotard über die Funktion der Kunst. Etwas salopp stellt er die Frage: „Was wollen wir heute von den Künsten?“ und die Antwort lautet: „Nun ja: sie sollen experimentieren und nicht mehr nur modern sein. Indem wir das sagen, experimentieren wir bereits.“ (J.-F. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, S. 77.) Mit dieser Bestimmung wissen wir zwar nicht, was Kunst ist, aber wenigstens wissen wir etwas mehr darüber, wie die künstlerische Methodik aussieht und vor allem, dass „heutige“ Kunst nicht modern zu sein hat – denn als so genannte „moderne“ Kunst würde sie logischer Weise der Moderne angehören und nicht der heutigen Post-Moderne. Für den Nexus von Kunst und Experiment bedeutet dies: „Das einzige unveränderliche Kriterium, dem das Werk heute unterliegt, ist nun aber, ob sich darin etwas Mögliches zeigt, womit noch nicht experimentiert worden ist, das also noch keine Regeln hat – etwas Mögliches für die Empfindung oder die Sprache.“ (J.-F. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin 1986, S. 72.) Und genauer heißt dies: „Man erforscht Vermögen des Empfindens und Phrasierens, des Sätzebildens bis an die Grenzen des Möglichen; man erweitert das Empfindend-Empfindbare und das Sagend-Sagbare; man experimentiert. Eben das ist die Bestimmung unserer Postmoderne …“ (Ebenda, S. 70.) Und da diese Ausstellung nicht nur experimentelle Installationen zeigt sondern selbst wie ein Experiment wirkt, erlaube ich mir die Einschätzung, dass es sich hier um eine „postmoderne“ Ausstellung handelt – mit allen Anachronismen, die eine postmoderne „Befindlichkeit“ mit sich bringt.

[...]

(Textauszug! Volltext als RTF-Datei (kb) HIER downloadbar!)

[start] [texte zu next code]


core | start | home
47•07