Log #62

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Eine Passage im Zentrum von Gleisorf. Ein esoterisch aufgemachter Ramschladen mit verblüffendem Sortiment. In einem der Schaufenster der "Vitruv-Mann" in der Version von Leonardo. (Siehe dazu auch Eintrag #4 bei "next space"!) Eine Renaissance-Deutung der Vorstellung, was "Menschenmaß" sei.

Kunsthistorikerin Mirjana Selakov bemerkte vor diesem Motiv, es sei eigenartig, daß das körperliche Ideal für Männer offenbar seit Jahrhunderten unverändert geblieben ist, während das Schönheitsideal der Frauen andauernd geändert würde, zu den jeweils herrschenden Lebensbedingungen eine Anpassung erfahre. Ein Thema der Ästhetik, also -- nein, nicht primär eine Frage nach Schönheit, sondern nach WAHRNEHMUNG. Und in welchen Zusammenhang das Wahrgenommene gestellt wird.

Der Leib als zur Verfügung stehende, gestaltbare Skulptur, dem chemischen und chirurgischen Zugriff ausgeliefert.

Der Leib in aufwendig gestalteten Lebensräumen inszeniert, wobei Beschleunigung in allen Lebensbereichen inzwischen eine tragende Rolle spielt.

All das in ein Klima verpackt, welches von nationalistischen Tönen geprägt ist, von beunruhigenden Wünschen nach einer Abschottung des Landes.

Das sind KEINE angemessenen kulturellen Bedingungen, um einer enormen Herausforderung nachzukommen. Es geht eigentlich um das Erschließen von passablen Wegen in ein "postnationalistisches Europa", das seine Garantie auf "Vorherrschaft" in der Welt längst aufgeben mußte.

Dieses Erschließen bedingt die Kenntnis historischer Vorbedingungen. Auch im Betrachten der Bilder und Bildnisse. Über Dürer und Leonardo zu Vitruv zurückgeblickt:
Was ist also zur Zeit Menschenmaß? Aus welchen Prozessen haben wir unsere Kriterien bezogen? Wie lauten diese Kriterien? Welches MenschenBILD ergibt sich daraus? Welche Konsequenzen entstehen aus den Darstellungen?

Das ist definitiv eine brisanter Komplex SOZIOKULTURELLER Fragestellung. Dabei können die Kunstschaffenden vielleicht im Einzelnen, aber sicher nicht im Ganzen darauf verzichten, Positionen zu beziehen, sich darauf einzulassen.

Übrigens! Der aktuelle Eintrag zu "next space"
geht auf derlei Hintergründe in der Region ein.

Einem anderen Aspekt solcher Entwicklungen widmen sich gerade der Künstler Walter Kratner und die Kunsthistorikerin Mirjana Selakov. Allerdings konzentriert auf das Genre Gegenwartskunst.

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Denn 2008 wird wieder ein Projekt in der Oststeiermark Teil des Festivals "steirischer herbst" sein. Im Rahmen von "next code: exit" werden die beiden, Kratner und Selakov, ein Programm realisieren, das sich zwischen Gleisdorf und Weiz entfaltet. Allerdings erweitert, verzweigt nach Beograd, wo Kurator Sasa Janjic einen Teil des gemeinsamen Projektes gestaltet.

Ein weiterer Schritt der Arbeit entlang von "Achsen", die wir einerseits
quer durch die Region ziehen, andrerseits über die Landesgrenzen hinaus.

Cut!

Für den aus Kroatien stammenden Zeljko Hudek ist das Queren von Landesgrenzen Standard. Ich hatte mit ihm ein Plauderstündchen über Bedingungen der künstlerischen Praxis.

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Professionalität. Das war eines unserer Themen. Wovon handelt dieser Begriff? Gerade auf dem Kunstfeld werden Festlegungen ja schnell als zu einengend empfunden und entsprechend zurückgewiesen.

Wir sind da gelandet, wo ich immer wieder lande, wenn ich über dieses Thema mit anderen Kunstschaffenden debattiere. Denn so viel läßt sich allemal sagen: Professionalität kommt durch Arbeitszeit.

Bei einer Tänzerin oder einem Pianisten begreifen das alle ganz leicht: Solche Leute werden sich vielleicht nicht alle 52 Wochen im Jahr, aber sich 50 Wochen davon, meist Tag für Tag, aktiv mit ihrem Metier befassen. Wer es dagegen gerade auf fünf Wochen im Jahr bringt, tut eben etwas anderes, beziehungsweise: tut es auf eine grundlegend andere Art. Darüber kann man eigentlich nicht streiten, das ist evident.

Cut!

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Aus einem regionalen Netzwerk engagierter Frauen entstand eine bemerkenswerte Veranstaltungsreihe, die davon ausgeht, daß in Gleisdorf 29 verschiedene Nationen und Kulturen präsent sind, die wert erscheinen, daß man sie sichtbar macht. Zu dieser Reihe gibt es nun eine kleine Dokumentation im Web: "Gleis 29".


resethome
8•08