Log #70

Ich hab im vorigen Eintrag notiert:
Diese Sache ist eben nicht "top down" entstanden, sondern "bottom up". Und es ist sehr wichtig, daß es BEIDEN Seiten dabei gelingt, positive Erfahrungen zu machen.

Eigentlich sind es ja DREI Sektoren, deren fruchtbares Zusammenwirken ein kraftvolles kulturelles Klima ergeben kann.
+) Staat,
+) Markt und
+) Zivilgesellschaft.

Das meint Aktive aus Politik und Verwaltung (Staat), Wirtschaftstreibende (Markt) und engagierte Privatpersonen (Zivilgesellschaft). Ein Echo davon ist in diesem Foto enthalten:

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Von links: Der Historiker Robert Hausmann (Universität in Graz), der Architekt und Unternehmer Peter Lidl und der Lehrer Wolfgang Seereiter, Obmann der Gleisdorfer Initiative "Weltladen". Was mich aktuell/kulturell mit diesen drei Herren gerade verbindet, was sie folglich im Kulturgeschehen der Stadt symbolisch verknüpft, ist in meinem Logbuch skizziert: [link] (Stichwort: "Die Brösel der Kohärenz".)

Wer uns vier Burschen an einem Tisch vorfände, würde mir vermutlich zustimmen: Unterschiedlicher kann man kaum sein. Mentalitäten, bevorzugte Modi, Auftreten nach außen ... da sind wir keineswegs wie die vier Blätter eine Kleeblattes.

Genau DA liegt nun eine der weiteren Anforderungen innerhalb des Gemeinwesens. Zu klären: Wie und wo greift man zusammen, wenn der Gegensatz zulässig sein muß, wenn Antwortvielfalt als unverzichtbares Prinzip zu gelten hat? Also auch zu klären: Wovon handelt KONSENS, wenn er zu Handlungsplänen UND zu Handlungen führen soll? Was sind seine Bedingungen?

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Wenn ich beispielsweise mit Lidl um Verständigung und Konsens ringe, führt uns das in komplexe Hand-Skizzen, über die wir uns mühen, Verständigungsdifferenzen zu klären und brauchbare Übereinkünfte zu finden. Man kann sich wohl vorstellen, wie dicht unsere Debatten manchmal sind, wenn deren Abdruck auf Papier so aussehen.

Was all das nun mit Kunst zu tun hat?

Es geht um die Bedingungen der Kunst. Es geht um das Verhandeln von Mitteln und Möglichkeiten. Es geht darum, dieser Selbstermächtigung ("Ich bin Künstler!") Wege vor der Haustür zu bereiten. Denn zuhause muß ich mein Künstlersein nicht verhandeln, nicht vertreten, auch nicht finanzieren. Aber sobald jemand an meine Tür klopft oder ich das Haus verlassen möchte, kommen andere Wirkungen in dieses Kräftespiel herein.

Derlei Aspekte werden bald auch zur Sprache kommen, wenn es im Haus von Lidl heißt: "Was ist Kunst?" Der Vortrag von Philosoph Erwin Fiala findet am 24. April statt. (Anschließend stehen Debatten an.)

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Eine andere Kategorie in solchen Zusammenhängen repräsentiert Richard Mayr, Hausherr der "Stadtapotheke". (Hier mit seiner Tochter Katharina.) Während in so manchem Foyer der Stadt Kunstpräsentation nach dem Prinzip "Besinnungslosigkeit" betrieben wird, also bestenfalls: Kunst-Karaoke, also eigentlich: Guerilla-Marketing, das sich der Kunstetikette bedient, gehen Mayr und seine Frau Ulli von persönlichen Vorlieben aus, von privaten Zugängen zu Kunstwerken. DAS führt dann gelegentlich zu Kunstveranstaltungnen im Hause.

Eine der Konsequenzen solcher Zusammenhänge:
Mit Mayr kommt es zu keinen komplexen Handskizzen und Debatten über mögliche Vorhaben. Er weiß gewöhnlich, was er vorhat und womit er sich befassen mag, kann also blitzschnell darlegen, worüber zu reden sich für ihn überhaupt lohnt. Hat man allerdings schließlich Konsens mit ihm, dann hat man für die beschlossene Sache einen kraftvollen Verbündeten.

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Übrigens! Wie die Apothekerin Ulli Mayr mit ihrer Tochter hier demonstriert, bedeutet die Befassung mit Kunst nicht zwingend, still dazusitzen und andächtig dreinzuschauen. Aber zurück zum angerissenen Gesamtzusammenhang. Das Unternehmerpaar Mayr verkörpert praktisch einen Typus, dessen direkte Vorläufer sozialgeschichtlich (im 19. Jahrhundert) eine sehr starke und normative Rolle gespielt haben: Die an Kunst interessierten, ökonomisch unabhängigen Bürger.

Man ist nicht im Dienste der Obrigkeit, wie es das beamtete Bürgertum war, aus deren Kreisen allerhand Kunst- und Kulturschaffende hervorgegangen sind. Man ist auch nicht von öffentlichen Aufträgen abhängig, sondern darf die Prosperität der Geschäfte weitgehend dem eigenen Geschick verdanken.

Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, was der Historiker Thomas Nipperdey in einem seiner Essays darlegt:

Was immer die Kunst an "Rebellischem" hervorgebracht hat, an Potenzialen, die sich auch GEGEN das Establishment artikulieren, es ist mit genau diesem Bürgertum möglich geworden und gewachsen. Salopp verkürzt: Kunst und "Antikunst", wie wir sie seit Jahrzehnten kennen,  wären ohne das Geld und Interesse dieser Kreise im 20. Jahrhundert wohl kaum über die Runden gekommen.

Folglich heißen zwei sehr beliebte Rührstücke, die in Österreich gerne aufgeführt werden: "Alles Karajan!" und "Es bellen die Rebellen". Das kulturelle und soziale Leben einer ländlichen Region ist allerdings mit diesen Genres nur schwer zu bespielen. Da geht es, mit Verlaub, um etwas andere Kategorien ...

P.s.:
Stichwort Mayr! Da findet heuer wieder der formelle Auftakt zu unserem aktuellen Beitrag für das Festival "steirischer herbst" statt.


resethome
16•08