Log #81

Ich möchte ein wenig polemisieren.

Auf einer Bohrinsel werde ich nach getaner Arbeit kaum in einem Kaffeekränzchen landen, wo Kreuzstich-Muster oder Rezepte für Brotaufstriche ausgetauscht werden. Ich mag die rauhen Seiten so mancher Berufswelten SEHR. Randzonen der Zivilisation. Wo die Heuchler keinen Bestand haben und die Furchtsamen sich schleunigst nach der nächsten Bus-Verbindung in die Heimat umsehen.

Einschub:
Ich äußere in letzter Zeit öfter die Ansicht, meine Generation habe der Tyrannis die Türe wieder viel zu weit aufgemacht, wir müßten sehen, wie wir sie wieder zubekommen.

Weiter:
Aus solchen Zusammenhängen resultiert bei mir gelegentlich ein auffallender Mangel an Nachsicht gegenüber unausgegorenen Vorstellungen bezüglich der Berufswelten auf dem Kunstfeld. Wenn es sich merklich wie ein Muttertagsausflug anfühlt, werde ich unruhig.

Ich gebe zu:
Das Kunstfeld ist etwas weitläufiger und vielfältiger als eine Bohrinsel. Auch in der Oststeiermark. Wo zwar dann und wann jemand auftritt, der geltend macht, ein Rebell zu sein, was in diesem Lande eine ziemlich halbseidene Pose ist, aber in der Kunst darf man alles dürfen, muß nichts müssen.

Anders ausgedrückt:
Nett zu sein ist keine Schande und laut zu sein ist nicht nötig. Oder?

log81a.jpg (26159 Byte)

Es ist irgendwie ganz typisch für mich, daß ich SOLCHE Zeitungsschnipsel aufhebe. Dieser stammt aus einem Artikel über Iggy Pop, geschrieben von Christian Schachinger. (Quelle: "Der Standard") Solche Posen gefallen mir.

Ich bin allerdings nicht so sehr auf der Seite von Joplin und Hendrix, auch nicht auf der von Morrison. Die waren mir viel zu radikal, meint: zu kurzlebig. Wenn schon Morrison, dann Van Morrison. Und auf jeden Fall His Bobness Dylan. Unerbittliche Poeten, grantige alte Herren mit großen Emotionen.Sichtlich von dem gezeichnet, was ein langes Leben von Relevanz ausmacht.

Wenn mir dagegen jemand anvertraut, er würde bei einer Debatte, bei einem Streitgespräch, über einem zu heftigen Tonfall eventuell in Tränen ausbrechen, staune ich haltlos. Ich ignoriere es nicht, aber ich bestaune es. (Ich kann über Inhalte in Tränen ausbrechen, nicht über einen Tonfall.)

Wildnis. Ich mag alleine schon das Wort, mag das Phonetische daran. Ich mag diese unbestechliche Präsenz, die durch alles Moderate durchschimmert. Ich bin von dem Schrecken gebannt, den sie uns jederzeit aufbürden kann. Das ist mein grundlegendes Bezugssystem als Künstler. Alles Moderate, alles Schöne und Ruhige ist nur davon geborgt, ist mühsam gesichertes Ufer, das jederzeit zu Schwemmland werden kann. Das gibt meiner künstlerischen Arbeit jenes Gewicht, aus dem ich den Sinn beziehe, den ich für einen Weg über Jahzehnte brauche, sonst wäre etwas anderes besser.

Es ist dieser Schrecken, der sich so leicht Bahn bricht, zu dessen steter Präsenz die Slowenin Marusa Krese in ihrem Buch "Alle meine Kriege" an einer Stelle schrieb:

>>Zypressen. Händler von Herzen. Tote in den Wäldern. Ertrinken in Erinnerung.<<

Darauf klingen in mir zwei triviale Phrasen an. Eine aus dem Alltag, die andere aus irgend einem Actionfilm:

"In was für einer Welt leben wir?"
"Was wirst du tun?"

Nichts konnte uns verborgen bleiben. Nichts ist unklar. Wir wissen, in welcher Welt wir leben. Aber was werden wir tun? TUN! Es ist nicht mein künstlerisches Werk solchen Dingen verpflichtet, die Kunst kennt solche Aufträge nicht. Aber ich, ich bin diesen Dingen verpflichtet.

Verpflichtet einen das streitbar zu sein? Unduldsam? Wütend? Gerede! Geplänkel. Was mich interessiert, ist das: Die Welt erzählen. Immer neu. Tausendfach. Dazu haben wir die Gaben, durch die AUCH Kunstwerke hervorgebracht werden. Noch einmal Marusa Krese, an einer anderen Stelle im genannten Buch:

>>Wie Ihr wollt, nehmt mich ernst oder nicht,
aber wütend bin ich ...<<

Ich sehe gelegentlich auch jene, die sich nur mit "Kleinen Welten" befassen wollen. Das muß einem frei stehen. Kleine Welten zu haben, zu kennen. Aber ich habe das nicht und ich kenne das nicht. Da ist nur diese Welt, auf der ich stehe. Sie ist nicht klein. Ich stehe auf einem günstigen Platz, denn dies ist das viertreichste Land der EU, auf der Liste der Welt unter den Top Ten der reichsten Länder. Das darf nicht zur Annahme verleiten, wie die Welt hier gerade ist, sei sie überall.

Es ist nicht mein künstlerisches Werk solchen Dingen verpflichtet, die Kunst kennt solche Aufträge nicht. Aber ich, ich bin diesen Dingen verpflichtet.

log81b.jpg (26993 Byte)

Das Projekt "next code" hat solche Seiten. Viele Querverbindungen haben solche Seiten. Eine dieser Querverbindungen kam mir letztens unter, als ich die Wiedereröffnung des Grazer "Medienkunstlabor" besuchte.

Nachdem Hausherr und "Kunsthaus"-Chef Peter Pakesch die Gäste begrüßt hatte, übernahmen Künstler Winfried Ritsch und Kuratorin Mirjana Selakov ihren Part für den Lauf des Abends ... [Fortsetzung]


resethome
27•08