Log #109

Da ist ein Konfliktpotenzial, das ich vor allem auf dem Kunstfeld stets verkörpere. Nein, das wird keine Rebellen-Geschichte. Bei einer Vernissage hatte ich eine Situation. Die angetrunkene Nervensäge erging sich in der Grunddisziplin jedes Schwindlers: endlose Andeutungen. Die waren durch keinen Einwand abzubrechen. Also riet ich dem Menschen, sich um einen geschützten Arbeitsplatz in einem Museum zu bewerben. Vorzugsweise als Ausstellungsstück. Das wäre doch eine Lösung für verkannte Genies, denn ich kann beim besten Willen nicht feststellen, wo sonst auf dieser Welt noch Bedarf an verkannten Genies bestünde.

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Ich habe mir längst angewöhnt, jenen endlos räsonierenden Kunstschaffenden zu empfehlen: Dann laß es doch! Hör auf mit Kunst! Wenn es die Welt nicht zu würdigen weiß, strafe sie mit Verachtung und entziehe ihr deine Wohltaten!

Aber nein, dieser pragmatische Vorschlag bringt mir keine Dankbarkeit ein, wird mir meist bloß mit weiteren Beteuerungen und fortführendem Räsonieren quittiert. Also sollte ich vielleicht meine eigene Medizin schlucken und den klagenden Kunstschaffenden meinen guten Rat entziehen.

Inzwischen ahne ich freilich, wo die Sache klemmt, hakt, verreibt. Unter anderem darin: Viele Leute, mit denen ich einschlägig zu tun habe, wollen zwar gerne überall mitreden, aber ein angemessenes Mitarbeiten meiden sie. Was ich damit meine? Die Beschränkung auf die primäre Kunstpraxis kann sich seit jeher kaum jemand leisten. Es wird auch an den Rahmenbedingungen dieser Praxis zu arbeiten sein.

Wenn jemandem etwa die Kulturpolitik des Landes ein Ärgernis ist, stellt sich die Frage: Woher soll das politische Personal auch wissen, was angemessen wäre? Wir müssen uns mit den Leuten auseinandersetzen, mit ihnen arbeiten, Diskurse führen, verhandeln.

Aber nein! Dafür können Kunstschaffende sich nicht hergeben. Das zöge notwendige Kraft von ihrer vorrangigen künstlerischen Tätigkeit. Das sei überdies nicht ihre Aufgabe, läge unter ihrer Würde, etcetera blabla. Na gut, sage ich dann gerne, kürzen wir es ab, konzentrieren wir uns auf essenzielle Bereiche. Laß mich fragen: „Was hast Du denn so gemacht und was hast Du zur Zeit vor?“

Oh, das macht mitunter lustige Situationen, führt zu einem poetischen Gestammel und meist zu weiteren Andeutungen. Es sollte dieses Genre benannt werden. Etwa mit „Beteuerungskunst“. Vielleicht die heidnische Antwort auf religiöse Konzepte. Das aufgeklärte Pflegen von Glaubensgegenständen. Das letzte Echo der Renaissance, um Verklärungen aller Art in angemesses profanes Fahrwasser zu bringen.

Wie dumm, daß sich berufe und Berufsbilder stets ändern; spätestens wenn sich die Lebenbedingungen einer Gesellschaft ändern. Genau das ist innerhalb meiner Biographie so massiv, permanent und weitreichend geschehen wie möglicherweise noch nie zuvor. (Das 20. Jahrhundert wird von Historikern wie Eric Hobsbawm als ein „Jahrhundert der Extreme“ gedeutet.)

Jahreszahlen lassen sich durchaus als Wegmarken nützen. Wenn sich nun das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts langsam rundet, wäre mir ein kleines Zwischenergebnis recht, das von Kunstbegriffen handelt, die nicht mehr dem 19. Jahrhundert entstammen.


resethome
1•09