log #364: fahrtenbuch, seite #22

Kleinkariert oder groß gemustert?
(Stadtentwicklung ist nichts für Weicheier)

„Der Begriff Öffentlichkeit wäre zu diskutieren. Wie öffentlich ist die Stadt?“ Das sagt Architekt Winfried Lechner, einer der Geschäftsführer des „Business Park“ im Süden Gleisdorfs. Er wollte geschäftlich seinerzeit im Stadtzentrum expandieren. Aufgrund seiner Erfahrungen übt er Kritik am Fehlen einer öffentlichen Debatte über Stadtentwicklung.

„Gleisdorf hat viel Geld in die Innenstadt gesteckt. Es ist in einem ästhetischen Sinn gelungen. Es gefällt mir. Es ist frei, offen, großzügig. Eine anständige, zeitgemäße Architektur. Aber das Leben hat man hinausgeblasen. Weil das nicht bearbeitet wurde.“

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Lechner präzisiert, daß es parallel dazu eine Diskussion gebraucht hätte, in der zu klären gewesen wäre, was die Hausbesitzer ihrerseits beitragen wollen, wenn die Gemeinde mehrere Millionen investiert. Es wäre um die Innenstadt als einen „gemeinsamen Raum“ gegangen.

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Wo ist das Ringen um Balance zwischen Eigennutz und Gemeinwohl ausgeprägter als im Zentrum einer Stadt? Doch vom Dorf bis zur Metropole erleben die Menschen nun schon länger, daß alte Zentren an Bedeutung verloren haben, ja sogar verödet sind, während an den Rändern der Orte neue Zentren entstanden sind. Das führt zu sehr unterscheidlichen, aber meist heftigen Reaktionen.

Lechner übt am Beispiel Gleisdorfs Kritik an jenen Milieus, die in den alten Zentren ihren Besitzstand gegen Veränderungen abschotten, zugleich aber von der öffentlichen Hand Investitionen zur Ortsbelebung fordern. „Die Gebäude mit der Fassade und den Höfen gehören privaten Eigentümern, welche Ansprüche geltend machen. Die öffentliche Fläche davor gehört allen. Aber ‚alle’ gibt es ja nicht, sondern ein gewähltes Kollektiv.“

Damit meint Lechner die Stadtpolitik. „Die Einflüsterer sitzen hinter den Wänden, schauen auf den Platz hinunter und sagen: Wir sind die Hauptbetroffenen. Jetzt haben sie aber das Pech gehabt, daß sich Öffentlichkeit und Privatheit in der Stadt anders darstellen, als wenn ich auf dem Land draußen als Einzelhof wäre. Ich muß akzeptieren, daß ich im Zentrum am öffentlichen Leben teilhabe und daß dieses öffentliche Leben mich natürlich berührt. Ich hab ja auch einen Vorteil daraus.“

Lechner betont, im Zentrum seien die Frequenzen durch die Art der Ansiedelung und Dichte der Betriebe möglich, was im Wesen eines Stadtzentrums liege und in seinem gesamten Effekt ja nicht vom einzelnen Hausherren eingeleitet worden sei.

„Beim Business Park war es anders. Da haben wir selber erst einmal ganz schön zahlen müssen, damit das steht.“ Man mußte „sehr viel Geld in die Hand nehmen“, damit so viel Eigendynamik da sei, „daß etwas weiterwachsen kann“. Lechner sagt aber auch: „Natürlich habe ich hier mehr Einflußmöglichkeiten, etwas zu gestalten, als drinnen in der Stadt.“

Was die Innenstadt Gleisdorfs betrifft, behauptet Lechner, es wären keine teuren wirtschaftlichen Notmaßnahmen der Gemeinde nötig gewesen. Es gebe die Gelder und auch Investoren mit größtem Interesse, in die Innenstädte zu gehen. Dafür bräuchten sie aber die Möglichkeit, „die Flächen im Erdgeschoß der Innenstadtgebäude zu gestalten und zu managen“. Das sei der springende Punkt: „Denn sonst kann ich dort kein Leben reinbringen.“

Österreichweit werden, so Lechner, laufend Standorte für neue Geschäfte gesucht, davon rund 50 Prozent in Innenstädten. „Das Problem ist dabei, die Innenstädte können das Angebot nicht darstellen.“ Warum? „Weil die Objektbesitzer nicht mitspielen.“ Lechner setzt nach: „Ich greife sie direkt mit dieser Aussage an. Die Eigentümer der Gebäude in der Innenstadt wollen nicht, daß die Innenstadt belebt wird, weil es ihren Eigentümerinteressen widerspricht.“

Es gibt zwar einzelne Hausherren, die da anders gesinnt sind und Öffnungen, Durchgänge, neue Formationen ermöglichen würden, doch das bleibt aussichtslos, wenn dann die Nachbarn mauern. Lechner: „Das ist das typische Kleinbürgertum, wie wir es in Graz haben, in Gleisdorf, wie wir es überall haben.“ Er faßt es so zusammen: „Bürgertum ist in der Stadt und ist kleinkariert.“ Daraus schließt der Architekt: „Aber dann an die Öffentlichkeit herantreten und fordern: Tut’s was für die Innenstadt, das ist eine Schweinerei.“

[Gleisdorf] [kunst ost: fahrtenbuch]


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