log #393: maschine

Seit den späten 1970er-Jahren kennen wir Vorstellungen von einer "eigenständigen Regionalentwicklung", weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, daß wir "Sensationen" importieren würden, um unserem Lebensraum Lebendigkeit zu sichern.

Ähnlich fatal ist jene beliebige Betriebsamkeit, die uns allerhand "Mission Junkies" aufbürden, wenn sie eine Ansammlung von Beliebigkeiten inszenieren, die in Summe bestenfalls als Ausdruck von "Eventitis" gewertet werden können.

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RICHARD KRIESCHE UND MARIA GSELLMANN

Hupfburg, Grillhendel und andere Standards des ländlichen Vergnügungsgeschäftes mögen sich als Zeitvertreib bewähren und als Umsatzbringer funktionieren. Folklore und allerhand Surrogate werden uns als Ausdruck von Traditionspflege und ländlicher Geselligkeit angedient.

Ich schwanke zwischen gewisser Akzeptanz solcher Spassetteln als Futter für die legitimen Freizeitbedrünfnisse vieler Menschen und zwischen Ignoranz so mancher massenkultureller Merkwürdigkeiten, mit deren dünnem Gehalt ich mich nicht weiter befassen kann.

Nebenbei bemerkt: In den letzten Jahren ist mir rundum etwas zu viel und zu leichtfertig von "Kulinarik" die Rede, mit der offenbar alles und jedes kompatibel erscheint. Und wenn jemandem gar nichts mehr einfällt, macht er oder sie einen Kalender.

Als ich im vorigen Eintrag erwähnte, ich hätte hinter zwei gut gelaunten Männern in einem Wagen gesessen, meinte ich damit den Künstler Richard Kriesche und den Kunstsammler Erich Wolf.

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ERICH WOLF

Es wird einleuchten, daß wir nicht losgezogen sind, um uns in Marktschreierei zu üben oder einer Region Dinge zuzurufen, die keinerlei Resonanz haben können, weil sie bloß die Makulatur einer Massenkultur sind, welche vor allem das sein will: Ein Massenereignis. Nein, wir waren dem Klang einer eigentümlichen Maschine gefolgt, die nichts dergleichen erzeugt, bewegt, bewirkt.

Stattdessen produziert sie bloß das: Muße und Wahrnehmungserfahrungen. Muße, das ist die seriöse wie diskreditierte Verwandte des Müßigganges. Muße ist eine Möglichkeit der Menschen, jenseits aller Alltagsnotwendigkeiten neue, andere Erfahrungen zu machen.

Da haben wir nun vor diesem quasi autochthonen Ereignis verweilt, dem, was hier in der Region entstanden ist, ursprünglich ganz theoriefrei, ohne mediale Erweiterung und ohne Fachdiskurse dieser oder jener Definitionshoheiten. Kriesche schreib dazu:

>>im kontext der gründung einer plattform für zeitgenössische kunst in der steiermark ist gsellmanns radikale haltung beispielhaftes vorbild für die fördernden und fordernden von künstlerischen hervorbringungen aus der region, dieser region ein bild ihrer selbst zu geben.<<

Da ist es wieder, dieses Satzstück, von dem ich in letzter Zeit öfter Gebrauch mache, welches ich mir aus seinem Text herausgerissen hab:

dieser region ein bild ihrer selbst zu geben

All das bedeutet auch, dem "Bodenständigen" begegnen nun Kunst- und Kultursschaffende mit Respekt. Das Autochthone, nicht als Kunst intendierte, ist zur Kunst geworden und bietet Legitimation. Kriesche:

>>gefragt ist daher nicht länger die strategisch systemisch ausgerichtete kunst mit augenmerk auf ihre globale verträglichkeit, ist nicht im bereits 1000ste museum 'more of the same' mit lokal koloriertem unterfutter zu errichten, sondern eine plattform hochgradig kunstferner kunst gefragt, der es in ihrer regionalen abgeschiedenheit nachweislich gelungen ist, das lokale bzw. regionale in den globalen kontext umzuschreiben. und nicht umgekehrt! auch dafür steht die kunstferne kunst gsellmanns pate.<<

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Selbstverständlich repräsentiert Richard Kriesche einen Teil von Deutungshoheit auf dem Kunstfeld. Er ist praktizierender Künstler, er ist erfahrener Medientheorietiker und er hat als Kulturschaffender reichlich Erfahrung mit Fragen der Kunstvermittlung.

Das bedeutet aber unter anderem für unser Vorgehen, daß hier nicht der sachkundige "Zentrumsmensch" aufs Land fährt, um da den Leuten zu erklären, wie das mit der Kunst so sei. Hier kommt einer, der den Betrieb kennt, und erweist dem Absichtslosen Referenz. Kriesche würdigt an Franz Gsellmann eine Radikalität und ein Gestalten im "Zweckfreien".

>>in der kunstfernen, statt dessen lebensnahen kunst gsellmanns findet simultan die kunst- und industrieferne, tief bäuerlich strukturierte region der oststeiermark in einer bis heute einzigartigen weise ihren ausdruck: ein landstrich über jahrhunderte in höchster einfachheit, in hoher armut und tief religiöser demut.<<

Ich denke, dieser Teil des ganzen Prozesses wird auch einigen Einfluß auf unser übriges Tun ausüben. Kriesches Überlegungen korrespondieren mit unseren Bemühungen, eine Befassung mit Kunst nicht zum "Sonderfall" werden zulassen, sondern den Optionen zur Muße, zum Erfahrungsgewinn, vielleicht auch zu Erkenntniszuwächsen eine Nähe zu Alltagswelten zu sichern.

Auf jeden Fall soll das, was wir um die Kunst erwirken möchten, plausible Bezüge zu anderen Metiers entfalten, ohne ästhetische und intellektuelle Hierarchien einzuläuten.

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