log #443: martin krusche | imperium

Michaela Knittelfelder-Lang hat einer Arbeit von Michael Ramminger den Titel für die Station des kommenden „April-Festivals“ in Markt Hartmannsdorf entnommen: „Human Melting Pot“. Was man sich unter einem „Menschlichen Schmelztiegel“ vorstellen kann, hat seine politische Entsprechung im Imperium.

Die historischen „Weltreiche“, wie auch Österreich eines war, vereinigen in sich eine Vielfalt an Ethnien, an höchst unterschiedlichen Eigenschaften.

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Cover Your Eyes!

Unser Lebensraum ist von drei imperialen Konzepten geprägt. Das Imperium Romanum war einige Zeit so effizient und weitreichend, daß es sich in zwei Bereichen trennen und neu ordnen mußte, die zu unterschiedlichen Herrschaftsgebieten wurden. (Reichsteilung von 395)

Daran ist verblüffend, daß die einstigen Grenzen zwischen Ostrom und Westrom über weiter Strecken stark mit jenen Grenzen übereinstimmen, die voriges Jahrhundert den Ostblock vom westlichen Europa trennten.

Das „Zweite Reich“ in unserem Lebensraum war das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. Es fand 1806 unter Napoleon sein Ende. Österreichs Kaiser II. legte die Krone ab und machte das Licht aus.

An diesem Reich war bemerkenswert, daß sich Kaiser und Papst die politische Macht teilten, daß der Papst den Kaiser krönte und damit legitimierte. In Ostrom, dem Reich der Orthodoxie, war das vollkommen anders, da saß das Kirchenoberhaupt zu Füßen des Basileus; der Herrscher stand hierarchisch über dem Patriarchen.

Orthodoxe Kirchen sind in der Regel „autokephal“, was bedeutet, daß sie sich selbst veralten. Das heißt, es gibt kein übergeordnetes Kirchenoberhaupt entsprechend dem Papst in der römisch-katholischen Kirche.

Diese grundlegenden Unterschiede haben auch im 20. Jahrhundert ihre politischen Spuren gesetzt.

Das dritte der Imperien in unserem Lebensraum ist das „Dritte Reich“ der Nazi. Nach der Befreiung aus Erbuntertänigkeit („Leibeigenschaft“) im Jahre 1848 und nachdem sich das Haus Habsburg zwischen 1914 und 1918 selbst versenkt hatte, wollte also der Pöbel herrschen.

Dabei wurden Konzepte und Embleme des Mittelalters zur einem Reichskonzept verramscht und letztlich das Feudalsystem restauriert, denn Vorteile gewann bei den Nazi-Faschisten nur, wer sich der etablierten Clique in treuer Gefolgschaft anschloß.

Die menschenverachtenden Proleten gingen so weit, daß etwa Hitlers Rüstungsminister und Lieblingsarchitekt Albert Speer darüber nachdachte, welche Gestaltung von Prachtbauten adäquat sei, damit selbst deren Ruinen in tausend Jahren noch vom einstigen Glanz ihrer Herrschaft künden würden.

Es ist trivial und treffend zugleich, hier anzunehmen: Der Sklave träumt nicht davon frei zu sein, sondern Herr zu sein.

Die Nazi haben die Möglichkeit eines „Human Melting Pot“ ideologisch ausgeschlossen. Staat und Volk wurden kulturell und biologisch assoziiert. Im Dritten Reich sollte genau das Gegenteil des „Human Melting Pot“ vorherrschen. Die „Vermischung“ war geächtet, „Reinblütigkeit“ galt als Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu den „Herrenmenschen“.

Victor Klemperer hat uns knapp und schlüssig erklärt, warum die Nazi diesen Kniff anwendeten. Seine kulturellen Gewichtungen kann ein Mensch verändern, er kann sich neu inkulturieren.

Wird aber das Zugehörigkeitkriterium ins Blut verlegt, läßt sich daran nicht rütteln. Wer als Opfer markiert und zurechtgestellt wurde, muß diese Zuschreibung und das daraus folgende Urteil hinnehmen, kann dem durch nichts entwischen.

Mein Lebensspanne ist der Zeitraum, in dem eine enorme atomare Bedrohung vorherrschte, während ein Kalter Krieg tobte, in dem Österreich eine sehr spezielle Funktion hatte; als ein hochkarätiger Umschlagplatz für Geheimdienste aller Kräfte.

Als vom 9. auf den 10. November 1989 die Berliner Mauer fiel, durften wir hoffen, daß die Zeit bipolarer Weltbilder und binärer Feindbilder einer neuen Auffassung von Menschenwürde unterlegen sei und daß politische Kräfte selbst gegensätzlicher Lager sich aufraffen könnten, die Demokratie nicht erneut durch Menschenverachtung zu schwächen.

In tiefer Traurigkeit habe ich festzustellen: So ist es nicht gekommen. Aber ich bin überzeugt, jede einzelne Schulter zählt, um der Tyrannis die Türe zuzudrücken.

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6•14