log #611: Hofstätten

Der Auftakt

Wir müssen im Eingangsbereich unsere Ausweise vorlegen und die Person im Werk nennen, die uns erwartet. Ich bin bei Magna Steyr schon im System. Es ist die Schleuse im Zugang zum Werk in Graz-Thondorf, das volkstümlich immer noch Puchwerk heißt. Dieses Werk wurde vor 75 Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, als Rüstungsbetrieb gebaut.

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Bei Altmeister Fredi Thaler klemmt die Maschine. Bedienungsfehler? Die Männer scherzen, der Mann am Empfang sagt grinsend: "Der Fehler sitzt immer vor dem Computer." Hier herrscht zwar ein dichtes Kommen und Gehen, aber das ist natürlich streng reguliert. Magna hat bedeutende Konzerne als Kunden, für die entwickelt und produziert wird. Da wollen die Interna vertraulich behandelt sein. (In der Sache wird nicht gescherzt.)

Manfred Hasi Haslinger hat inzwischen seinen Schein erhalten und geht das Auto holen, damit wir die Strecke in der Fabrik nicht zu Fuß machen müssen. Thaler und Haslinger sind altgediente Puchianer, haben in dieser Fabrik früher ihr Brot verdient, kennen sich gut aus und sind vorzüglich vernetzt. Es erwartet uns Herbert Walser, Boss der Lehrwerkstätten von Magna. Das ist eine feine symbolische Markierung zum Auftakt des Projektes

Vom Pferd zum Sattelschlepper

Ich besuche Walser hier in Begleitung von Männern, die mit den Qualitäten und dem Ethos des klassischen Handwerks in der Industrie gearbeitet haben. In ihnen bündeln sich quasi zwei Kontinente der Arbeitswelt, eben des alten Handwerks (Manufakturen) und der Industrialisierung (Fabriken). Diese Situation bricht gerade erneut um, da aktuelle Automatisierungswellen uns in eine Vierte Industrielle Revolution schicken.

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Hier von links Haslinger, Thaler und schließlich Walser, der im Betrieb dafür verantwortlich ist, daß heute junge Menschen lernen, was an verschiedenen Kompetenzen nötig ist, damit der Laden in einem seiner Kernbereiche funktioniert. Michael Pust hat vor Ort den Teil Karosseriebau über.

Pust freut sich über das Ergebnis bei der Lackierung des Häusels, das anzuschauen wir gekommen sind. "Da ist kein Rinner drin", sagt er. Also eine tadellose Oberfläche ohne Schlieren oder Tropfen. Das Häusel stammt von einem Steyr-Puch 500 S und ist vorgesehen, auf dem Kreisverkehr vor dem Johann Puch Museum Graz den Fans zu signalisieren, daß sie angekommen sind.

Dort war das Werkstück die letzten Jahre von Wind, Wetter und Autoabgasen angenagt worden. Heuer sind nicht nur 75 Jahre Werk Thondorf zu beachten, sondern auch 60 Jahre Puch-Schammerl. Da sollte der Wegweiser sauber aufgestellt sein. Dafür hat die Lehrwerkstätte gesorgt.

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Nun ahnen Sie, wie passend diese Stunden den Auftakt unseres regionalen Projektes (Hofstätten an der Raab) markieren. Das Jubiläum des damals höchst modernen Werkes, das in der Zweiten Republik jener Ort war, an dem in Österreich erstmals wieder eigene PKW gebaut wurden; von den populären Zweirädern ganz zu schweigen.

Das Puchschammerl als populäres Symbol der auf Automobile gestützten Volksmotorisierung Österreichs, die in all den Jahrzehnten davor nicht möglich war. Die klassischen Handwerker, deren Kompetenzen derzeit ihre Bedeutung noch nicht verloren haben, selbst wenn die Índustrie mittlerweile völlig anderes funktioniert. Walser und Pust, die stehen beispielhaft dafür, den Umbruch in die neuen technischen Verhältnisse mit dem Nachwuchs angemessen zu bewältigen.

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Hier von links Walser, Pust, Thaler und Haslinger. Ich muß die ideelle Tragweite dieser Markierung noch etwas herausstreichen. Der mehrere tausend Jahre währende Kentaurische Pakt zwischen Mensch und Pferd endete im Zweiten Weltkrieg. Davor war die Kavallerie im Großen Krieg schon an das Ende ihrer militärischen Bedeutung gelangt, aber im nachfolgenden Krieg waren die "Hafermotoren" als Zugtiere immer noch unverzichtbar.

Mit der Maschinisierung der Landwirtschaft, etwa den Steyr-Traktoren, die ab 1947 ausgeliefert wurden (70 Jahr-Jubiläum!), verschob sich das. Mit den Flotten von Steyr-LKW und jenen der ÖAF (Saurer-Lizenzen), naja, gut, wohl auch ein paar Mercedes-Benz und luftgekühlte Magirus Deutz darunter, einige Volvos, so veränderte sich das völlig.

Zum Vergleich, als Josef Körösi sich vom Kommis zum Fabrikanten hocharbeitete, war ihm Mitte des 19. Jahrhunderts eine Anbindung an die Eisenbahn für seine Maschinenfabrik in Andritz noch zu kostspielig. Deshalb standen für den Transport von Waren wie etwa seine patentierten Eisenbahnräder "Pferde zwölfspännig angeschirrt vor dem Wagen, denn die Fuhren mit der Eisenbahn selbst waren noch viel zu teuer". (Jelusich & Scheuer) Manchmal mußten für eine Fuhre sogar 18 Pferde vorgespannt werden.

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Das Puch-Schammerl ist daher quasi das Wappentier der österreichischen Volksmotorisierung nach 1946 geworden. Das Karosseriedesign von Giacosa und Alberti ist außerdem so gelungen, daß es ganz wesentlich zur Popularität des Wagens beiträgt. Siehe dazu: "Woher kommt das Puch-Häusel?" [link]

Aber tragend bleibt natürlich die Legende, die von Altmeister Puch bis zu den gegenwärtigen Puchianern reicht. Unsere Mobilitätsgeschichte ist eng mit den Produkten jenes historischen Mischkonzerns verknüpft, der Steyr-Daimler-Puch AG, die schließlich in Magna Steyr aufgegangen ist.

Die meisten von uns haben in ihrer Biographie irgendeinen Bezugspunkt zu Produkten jenes Konzerns. Doch die Steiermark ist in ihrer Geschichte noch viel komplexer mit Themen der Technik, Handwerkskunst und Industrie hinterlegt. Das reicht natürlich auch tief in die agrarische Welt, was wir uns in diesem Projekt genauer anschauen.

-- [Hofstätten] [Dorf 4.0] --


coreresethome
28•17