log #662: Mythos Puch V

Rollende Räder

Transport seiner selbst oder anderer. Was haben Fahrräder in der Kunst zu tun? Und wo bleiben sie auf den Straßen? Brisante Berührungspunkte. Darauf bezog sich kürzlich ein Symposion in der Kunsthalle Graz. Verkehrsplanung gehört nicht zu meinen Kompetenzen. Ich stehe im Lager der Kunst. Von da aus blicke ich auf Fahrräder.

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Im Jahr 1996 bin ich nach Wien gefahren, um mir im MAK Chris Burdens Ausstellung „Beyond the Limits" anzusehen. Ich hatte zu viel Dos Passos, Updike, Steinbeck und andere Amerikaner gelesen, um mich etwa in die Arbeiten von Tinguely vertiefen zu wollen. Burden war für mich anziehend, wo Bewegung inszeniert sein wollte. Er kombinierte in vielen Werken merklich verspielt das Vorgefundene mit seinen individuellen Zugriffen und arrangierte manche Teile so, daß ein Mensch einsteigen, aufsteigen, sich einbauen konnte.

Ich wollte damals vor allem zwei Arbeiten real sehen: „The Flying Steam Roller" und „The Big Wheel". Beim Betreten des Hauses mußte man unter den ausladenden Armen seines „Samson" durch. Ich mochte seine Handskizzen und die Art, wie er Eindrücke aufnahm, umsetzte.

Ich hab Tinguely erwähnt, weil dessen Werke im Vergleich wesentlich chiffrierter sind, von Alltagsdingen meist deutlich entfernt. (Die „Weltmaschine" von Franz Gsellmann hatte mir derlei schon aus der Nähe gezeigt.) Ich denke, daß beide Künstler – Burden und Tinguely – es auf gleiche Art mochten, daß man Bewegung erleben kann, die sich ja physisch mitteilt; sei es in Geräuschen und/oder Erschütterungen. Da wie dort Schwingungen. Die eine Art moduliert Luft, die andere moduliert Bewegungen im jeweiligen Boden, im ganzen Gebäude.

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Bei Burdon war klar, wie radikal er mit Körperlichkeit umging. Sehr physisch! Und dann eben diese Farben, die ich aus Filmen kannte und in Romanen imaginiert hatte. Manchmal denke ich, Amerika, das ist eine bestimmtes Farbspektrum, das sich abspult, wenn man auf einer der auslandenden Straßen zwei-, dreitausend Kilometer macht. So ein Roadside-Ding.

Das kommt dort auch in den Begriffen daher. So heißt etwa die Asphaltdecke einer Straße Blacktop. Unter den Road Movies, die ich kenne, ist einer der lapidarsten Filme mit „Two Lane Blacktop" betitelt. Chiffren!

Dabei konnte einem natürlich auch so ein barockes Motorrad vorkommen, wie es Burden aufgriff. Dann aber das eigentliche Ereignis. Derlei mächtige Schwungräder dürften noch in unzähligen verlassenen Fabriken stillstehen. Drei Tonnen Gußeisen, die über das Hinterrad der 1968er Benelli auf Touren gebracht werden. Dieser Vorgang packt so viel Energie in das Schwungrad, daß es über zwei Stunden rotiert, nachdem das Motorrad abgestellt wurde.

Ein ähnliches Konzept wandte Burden bei der Straßenwalze an, die er sich aus Beständen der Navy beschafft hatte. Sie wird erst einmal im Kreis gefahren. Ab einem bestimmten Tempo entriegelt der Maschinist einen Hebelmechanismus, durch den die zwölf Tonnen schwere Walze über ein Ausgleichsgewicht in die Schwebe kommt und mit abgestelltem Motor in der Luft kreist.

Chiffren! Diesen Aspekt brauche ich gerade, um auf die Notiz Fahrrad. Kultur." weiter einzugehen. Das legt eine verbindende Linie zwischen jenem Symposion in der Kunsthalle Graz, das Iris Kasper und Elisabeth Saubach (contemporarycollectivegraz.at) angesetzt hatten, und Mythos Puch V, wo es mir um den „Geist des Transports" geht. Das alles könnte zweckrational behandelt werden, vernünftige Anwendungen suchend. Aber die Straßen und der Verkehr mit seinen Vehikeln, das ist extrem symbolisch befrachtet.

Meine Reminiszenzen, was die Arbeiten vor Burden angeht, passen da herein, weil er eben, wie schon erwähnt, so sehr auf physische Erfahrungen setzt, dabei auch ein spezielles Spektrum visueller Codes abarbeitet. In Summe adressiert er also praktisch alle Sinne, die Emotionen und den Geist im Gesamtpaket. Das ergibt massive ästhetische Erfahrungen = Wahrnehmungserfahrungen.

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Was in der Kunst eine gesuchte Situation sein mag, kann in der Alltagsbewältigung zum Problem werden. Was ich eben auf die Arbeit von Chis Burden bezogen hab, läßt sich genau so auf Kraftfahrzeuge übertragen, während es auf Fahrräder bezogen nicht annähernd so wirksam erscheint. Ich vermute, darin liegt ein Angelpunkt bezüglich offener Fragen in der Verkehrsplanung. Warum dominiert die Kraftfahrzeug-Liga so anhaltend? Warum scheinen da die Fahrräder stets im Hintertreffen zu sein?

Ich habe hier aus der Kunst das brauchbare Denkmodell bezogen. Versuchen Sie es selbst erst einmal mit Autos und Motorrädern, danach mit Fahrrädern. Überlegen Sie schließlich, was die Tiefe der Effekte und die Verbreitung/Popularität der Motive angehen mag, wenn Sie diese Aspekte in Betracht ziehen, als hier auf Kraftfahrzeuge und dort auf Fahrräder bezogen: Auf physische Erfahrungen setzten, aber auch ein spezielles Spektrum visueller Codes abarbeiten, in Summe also praktisch alle Sinne, die Emotionen und den Geist im Paket adressieren, um anhaltende ästhetische Erfahrungen = Wahrnehmungserfahrungen zu generieren.

Wem die Kontraste klar werden, mag man besser verstehen, was den Unterschied der Popularität von a) Kraftfahrzeugen und b) Fahrrädern betrifft. Ich denke, über die Erfahrungen mit Kunst kann einem das nachvollziehbar werden. Dazu ist es nicht nötig, etwa die Kunst auf das „Fahrradproblem" zu verpflichten. Ich denke, es geht eher um die erwähnten Wahrnehmungserfahrungen und die populären Narrative. Fragen Sie nach der Erzählung!

-- [Doku] [Der Geist des Transports] --


coreresethome
18•18