Log #678: Ich bin eine Geschichte

Bildnisse
Daß es von mir Kinderfotos gibt, verdankt sich der Leidenschaft meines Vaters, sich freie Zeit als Fotograf und Hobby-Filmer zu vertreiben. Die dazu nötige Ausstattung war in den Haushalten bei Leuten meiner Herkunft damals keineswegs Standard. Man mußte sich zum Kauf relativ teurer Apparate entschließen, sich mit dem Verhältnis zwischen Entfernung, Blende und Verschlußzeit vertraut machen, um präzise zu fokussieren. Um Geld zu sparen, war es vorteilhaft, Filme selbst zu entwickeln, Fotos selbst auszuarbeiten.

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Martin Krusche im Jahr 1958

Kompaktkameras wie die Kodak Instamatic tauchten erst während meiner Voksschulzeit in den Schaufenstern auf, was ich noch so genau weiß, weil ich damals bei einem Preisausschreiben so ein Set gewonnen hatte: Kamera, Filmkartusche und Blitzlichtwürfel. Übrigens der einzige Gewinn meines bisherigen Lebens.

Doch schon vor diesem Ereignis hatte mir mein Vater eine Kodak Retina überlassen, nachdem er auf eine Spiegekreflexkamera umgestiegen war. Ein klassisches Stück Feinmechanik mit Klapptubus. Handlich, aber schwer in der Hand liegend.

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Von links: Kodak Retina, Kodak Instamatic, Canon G12

Vom komplexen Umgang mit der Retina führte ein Sprung zum simplen Abdrücken mit der Instamatic. Heute verwende ich eine digitale Canon G12, die mir beide Optionen bietet. Ich kann es komplex haben oder einfach draufhalten und abdrücken.

Wie gesagt, in meinem Milieu war es einst nicht obligat, solches Equipment zu haben, obwohl Kodak schon davor mit der Brownie das Knipsen massentauglich gemacht hatte. Man ging bei entsprechendem Anlaß üblicherweise zum Fotografen und stellte sich im Studio zurecht. Das war teuer und kam daher selten vor.

Von meinem Großvater Richard, dem Handwerker aus der Obersteiermark, kenne ich nur ein einziges Foto, das ihn als jungen Menschen zeigt. Das stammt aus einem Gruppenfoto der Einheit, in welcher er dem Kaiser gedient hat.

In seinem Milieu war es nicht üblich, sich via Fotografie zu produzieren. Da stand es um seinen damaligen Herrscher ganz anders. Der von Gottes Gnaden legitimierte Kaiser war quasi die ranghöchste Variante irdischer Portrait-Themen.

Das hatte teils sehr pragmatische Gründe. Schon im antiken Rom kamen Kaiser auf die Idee, sich als "gottgleich" hervorzutun und ihr Profil auf Münzen zu verbreiten.

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Das war sehr banalen, nämlich innenpolitischen Zwecken gewidmet. Es ist schließlich eine erhebliche Abstraktionsleistung, für Gott, Kaiser und Vaterland sein Leben zu riskieren. Das braucht eine Menge Ideologie, gerade weil es in seinem Anspruch eine so horrende Zumutung ist. Das braucht Idole. (Eidolon ist das griechische Wort für Bildnis, Abbild.)

Die Portraitmalerei kennen wir zwar auch seit der Antike, aber sie bekam erst in der Renaissance Europas eine völlig neue Dimension der Selbstdarstellung, die nun nicht mehr bloß den Adeligen und dem hohen Klerus vorbehalten war. Portraitmalerei war stets auch ein Mittel politischer Propaganda. Und sei es bloß, daß erfolgreiche Kaufleute dem Adel per hochkartätiger Portraits ausrichtetetn, daß man mit ihnen gesellschaftlich politisch rechnen müsse.

Das ging unter anderem auch mit der Einführung der Zentralperspektive in den Bildern einher, die quasi den Betrachter personalisierte, die sozusagen dem Portraitierten ein reales Gegenüber schuf. Übrigens ein kulturelles Phänomen, das wir -- wie vieles andere auch -- dem Austausch mit der arabischen Kultur verdanken, deren Blick-Theorie diesen Prozeß voranbrachte.

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Hannes Schwarz in den Händen von Martin Krusche,
fotografiert von Ursula Glaeser

Was ich nun hier mit einer kleinen Referenz an den Weizer Maler Hannes Schwarz eröffnet habe, soll als ein Stück kollektiver Kulturarbeit ausleuchten, wie das Individuum über Bildwelten in unserem Leben auftritt. Der oben skizzierte Entwicklungsprozeß von kompakten Kameras ist inzwischen bei den stets verfügbaren Smartphones angelangt, die alles übertreffen, was wir bisher an Fotografierlaune erlebt haben.

Damit haben Posen der Selbstdarstellung ein irritierendes Ausmaß erreicht, was sich allein schon im Reüssieren des Begriffs Selfie ausdrückt. (Dagegen war die Lomografie ein gemütliches Phänomen.) Mich interessiert nun, was wir an Menschenbildern auffinden können, um unseren Lebensraum zu durchleuchten und dabei auch das 20. Jahrhundert auf individuelle Art sichtbar zu machen.

Es drückt gewaltige soziokulturelle Veränderungsschübe aus, daß wir alle so grenzenlos in das Zentrum von Bilderwelten eintreten konnten, daß sich Individuen, egal welcher sozialen Herkunft, in Bildern derart selbst feiern können. Das möchte ich näher untersuchen...

-- [Ich bin eine Geschichte] --


coreresethome
26•18