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Joachim Vossen erwähnt in seinem Buch über Bukarest den >>türkischen Ausdruck "mahallé" (Stadtviertel)<<, von dem sich der Begriff "Mahala" (Mehrzahl: "Mahalale") herleiten würde, wovon es in Bukarest bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts "schon über etwas mehr als 30" gegeben haben soll. Im Iran kennt man offenbar eine ähnliche Sprachregelung.

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Dieses Foto des Teheraners Amirali Ghasemi entstand übrigens in jener Gasse von Istanbul, die ich auf Seite #4 als Beispiel dafür genannt habe, wie eng es mit Autos und Menschen werden kann. Amirali schrieb auf meine Frage nach dem Begriff "Mahala":

>>... in Farsi (it comes from Arabic i think ) which use the word :" MAHALA" as the definition of "neighborhood", the place that you can call neighbor/friends a HOME BOY: " HAM - MAHALI ".
the term fades here in some parts of Tehran. but in some older neighborhoods it's still plays a big role even some strong relationships bind them people together which some times in poor areas there are fights defending the pride of the MAHALA like almost the every where in world.
it might be considered as semi privet/semi public space. I need to do some more research. That's all for now. Hope that every one is doing fine. regards from very hot Tehran. Amirali<<

Auf meine Frage, ob der Begriff die Person oder den Ort meint und ob er in Stadt und Land gleichermaßen verwendet würde, schrieb Amirali:
>>Ham-mahali referes to person like a neighbor who lives in the same area ... yes also at the country-sides & in villages.<<

Wofür stehen also manche Begriffe und Ortsbezeichnungen? Worauf verweisen sie und was ist durch sie überliefert? Ein Beispiel aus Südosteuropa, das mir noch Kopfzerbrechen bereitet:

Ich habe bis jetzt noch keine Klarheit gefunden. Selbst die offizielle Website von Beograd nennt als vermutliche Quelle des Stadtnamens einen einstigen Status als "Weiße Stadt" [LINK].

Der nebenstehende Leserbrief beschreibt einen anderen Kontext. (Quelle: "Der Standard", ich vermute im Absender einen Romanisten von der Universität Rostock.)

Begriffe als Hilfe zur Orientierung im Raum: Von wo geht jeweils die Definitionsmacht aus? Welches sind die Zentren, von denen aus die Darstellungen der Welt festgelegt werden? Weiß jemand mehr zu dieser Sache? (Bitte um Feedback!)

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Als Österreicher beziehe ich meine Identität und meine kulturellen Grundlagen ja nicht aus dem bescheidenen Ereignisraum der Zweiten Republik, sondern aus wenigstens 500 Jahren der intensiven Kräftespiele mindestens zwischen den zwei Polen Wien und Istanbul, worin Beograd wohl immer eine deutliche Markierung gewesen ist.

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Weiß oder nicht, der Kalemegdan, die mächtige Festung von Beograd, gibt noch heute einen starken Eindruck, wovon solche Bezugspunkte einst gehandelt haben. Aber ich schweife zu weit ab.

Wovon werden Orte, bestimmte Plätze belebt? Ich vermute: Vorrangig von sozialen Qualitäten, die in einem bestimmten Zeitfenster große Priorität haben.
+) Wie verhalten sich dabei das Initiieren und das Gewährleisten solcher Qualitäten zu einander?
+) Ist der "Spirit" eines Ortes Initialkraft oder Ausdruck solcher Qualitäten?
+) Handelt "Baukunst" von solchen Zusammenhängen?

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Ich hab gerade eine bemerkenswerte Lektion über Zusammenhänge in Lebensräumen erhalten. Der Anlaß dazu waren Raben. Die in großen Schwärmen einen Stadtteil von Gleisdorf bevorzugen. Was einen Teil der Anrainer in Wut bringt, weil man sich durch Lärm und Kot belästigt fühlt, den Rückzug anderer Singvögel beklagt, Schäden in der Landwirtschaft der eigenen Klagsbegründung anfügt etc. Kurz: Man wünscht die Raben und Elstern an das andere Ende der Welt zu schaffen. Aber wie? Mit welchen Mitteln?

Erschrecken, abschießen, durch Freßfeinde bedrängen, einfangen ... es wurden allerhand Ideen geäußert. Man stieß sich sogar daran, daß den Jägern das Schießen im Stadtgebiet per Gesetz verboten ist. (Worüber ich allerdings recht froh bin.) Man wollte offenbar nicht hören, daß "Jagddruck" bei diesen Tieren dazu führt, mehr Nachwuchs zu produzieren, was wenig hilfreich wäre.

Ein Jäger erzählte, die Rabenvögel seien extrem intelligent. Würde er welche abschießen, wären sie anderntags in der Lage, sein ankommendes Auto wieder zu erkennen und abzuhauen.

Greifvögel sollten angeschafft werden. Ein Fachmann sagte, Uhu und Habicht seien Feinde der Raben. Man könne den Uhu zwar in der Weizklamm finden, aber in der Stadt würde er sich wohl nicht heimisch fühlen. Ihn da anzusiedeln wäre überdies nicht artgerecht. Und selbst wenn es gelänge, würde er sich nicht nur die Singvögel holen, die man nun wegen der Raben vermißt, sondern auch die eine oder andere geliebte Katze.

Ein Jäger berichtete, man habe es mit einem Habicht versucht, der mußte aber von der Jägerschaft gerettet werden, nachdem er sich mit den Raben angelegt hatte.

Ich habe zwischendurch gefragt, ob man wisse, warum es den Raben gerade hier so gut gefalle. Ich erfuhr, daß die großen Kompostanlagen der Stadt sowie die unzähligen Komposthäufen in den privaten Gärten rund um die Häuschen für die Allesfresser ein tolles Angebot seien.

Aber es war gleich wieder die Rede von erschrecken, abschießen, durch Freßfeinde bedrängen, einfangen ... es sagte jemand erregt: "Können Sie mir auch nur einen Grund nennen, wozu eine Elster gut ist? Ich kenne nämlich keinen."

Ich befürchte, das war eine Lektion darüber, wie ein arrivierter Mittelstand, der sich Haus und Garten sichern konnte, dem Lauf der Dinge ganz generell und Veränderungen in seinem annehmlichen Leben speziell gegenüber steht. Ich will mir gar nicht ausmalen, was solche Positionen gegenüber den Zusammenhängen lebender Systeme bewirken, wenn sich ein Viertel, eine Mahala, ein Stadtteil verändert.


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28•07