the track / virtuosen der täuschung / avantourismus / page #5

Da wir, wie schon erwähnt, vor einer Session mit Leuten der "Kollektiven Aktionen" aus Moskau standen, zog Emil noch ein merkwürdiges Sammelstück aus den Schichten seiner Wunderkammer. Die erste russische Ausgabe eines "Micky Maus"-Heftes. Amerikanischer Trash hat schließlich fast alle Winkel der Erde erreicht. Aber das war nicht die Essenz unserer kleinen "Avantourismus"-Konferenz.

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Der aktuelle Abschnitt des langjährigen Projektes "the long distance howl" trägt den Titel "the track". Es ist eine Strecke, die von kollektiver Arbeit geprägt ist. Das betrifft einerseits die laufenden Ereignisse auf der realen Strecke quer durch die Region. Das betrifft andrerseits Schwerpunkte, die als Beiträge zum Kunstfestival "steirischer herbst" realisiert wurden.

Die Gruppen "SPLITTERWERK", "Skart", "LED ART/ART KLINIKA" oder "Hazavuzu" haben hier Arbeiten realisiert. Aus der Region heraus entstanden immer wieder temporäre Formationen, die um Gäste erweitert wurden. Das markanteste Ereignis dieser mehrjährigen Prozesse war sicher unser Symposion im fahrenden Zug: [link] Emil hatte diese Reise mitgemacht: "Ein Reise-Epitaph in vier Akten"

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Jene Entwicklung hat nun dazu geführt, daß ich auch Mitglieder der Gruppe "Kollektive Aktionen" aus Moskau auf meiner "Strecke" haben würde. Auf dem Foto von links: Mirjana Peitler-Selakov, Sabine Hänsgen, Sergey Romashko und Sergej Letov.

Das sind Leute, für die ein Arbeiten in den größeren Zusammenhängen innerhalb eines breiten historischen Horizonts selbstredend ist. Eine Perspektive, die ich selbst für unverzichtbar halte. Ich habe den Beginn dieses Abschnittes in Belfast markiert. In den Straßen, wo noch etwas vom Bürgerkrieg nachklingt, war ich auf diese Nachricht an einer Wand gestoßen:

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Die Wand markiert gewissermaßen einen möglichen Schnittpunkt. An solcher Stelle mag man sich entscheiden, wohin die nächste Wendung und Schritte führen soll. Die Geschichte als Historie im Rücken, aber auch als Flut von Geschichten. Den Auftakt von "the track" schrieb ich mit folgendem Gedicht:

noch immer

der regen
saß mir im nacken
die sonne
im gesicht
die kälte fraß
an meinen beinen

ein porterhouse
als zuflucht
mein mädchen
schien fröhlich
ich ging
an die theke
und fragte
nach bier

da fiel tony aicken
betrunken und
nachdenklich
an meine brust

ich sah
die bitterkeit
um seine lippen
die bitterkeit belfasts
wich nicht mehr
von mir
in diesen tagen

an orten
wo dichter
begraben sind
wo
van morrison leise
die lippen bewegt
mit worten
von kavanagh

wo michael longley
von wunden schrieb
von der
ulster division
an der somme

vom großen krieg
den meine leute
begonnen haben
der bis heute
noch immer
kein ende fand

nach wie vor
bluten menschen
aus diesen wunden
nach wie vor
sind der bestie
ein kopf und
ein maul geblieben

so schieb ich
die faust
in diesen rachen
keineswegs furchtlos
und denke
an kavanagh:

and i said
let grief
be a falling leaf
at the dawning
of the day

von martin krusche
(dedicated to sir oliver mally)


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