debatte: literatur Von: perspektive berlin mcsnake@perspektive.at -+-+-+-+- 030 - 297 79 542 lieber werner LANGWEILIG KONVENTION aber: konventionelle literatur hat
stets bestanden & bestand. erzählen geht immer, für das erzählen muss also in
zeiten schwindender attraktivität abstrakten denkens kaum gekämpft werden; über
marktbeherrschende stellung von konventionell-erzählender literatur werden wir nicht
streiten müssen. anders liegt das bei text, der die geläufigsten konventionen bricht
(nichtlinear, nichtmimetisch, nicht-subjektzentriert etcetc): für diesen einzutreten
heisst ja nicht per se, das konventionelle aus den regalen räumen zu wollen.. was tatsächlich stattfindet ist das
gegenteil: die 'jungen' konventionellen, die am buchmarkt bestens gehandelt werden, sind
es, die vehement gegen eine nahezu verschwundene avantgarde polemisieren. interessant wird
die gebetsmühlenhaft behauptete überwindung der avantgarde durch die konvention eben
hier, wo sie von einer generation betrieben wird, die früher vermutlich in den reihen der
avantgarde - im österreichischen fall unter den schwingen der avancierten, da, einem
wiener archivar nach, "österreich keine avantgarde braucht, weil es einen karl kraus
gehabt hat" - sich versammelt hätte. mit besonderer verve sucht diese generation
zuflucht in einer form, die mit den mitteln der konvention ein wenig diese selbst, vor
allem aber alles darüber hinaus parodiert, eine übrigens für 'szenen' in
'postideologischen' konsumgesellschaften typische 'distanzierungsform' (tita von
hardenberg, 'polylux'-moderatorin, schreibt zur szene in berlin-mitte gerade ebenso
ironisch:"...das Styling der echten und falschen Szeniasten hatte immer schon viel
mit Ironie zu tun. Zu meiner Freude haben sie endlich aufgehört, die Vokuhila-Matte und
den Schnauzbart zu ironisieren."). was bedeutet, dass diese 'konventionelle' schreibe
eben nicht geradlinig konventionell ist, sondern bestenfalls neo-konventionell (oder wie
immer sonst man das nennen mag), denn: "Tatsächlich sind derartige Rückwendungen
immer scheinhaft, weil sie von dem, was sie wiederfinden, getrennt sind durch den
negativen Bezug (wenn nicht gar die parodistische Absicht) auf etwas, was selbst die
Negation (der Negation der Negation usw.) dessen war, was sie wiederfinden."
(bourdieu, in den 'regeln der kunst'). aus demselben grund ist das, was
vielleicht in p versucht wird, auch nicht geradlinig 'avantgarde' (oder, von dir aus
betrachtet, das klägliche scheitern derselben), sondern das bewusste wiederaufgreifen von
- auch für uns zwiespältigen - avantgarde-konzepten unter neuen bedingungen, zu denen
auch die reaktionen auf die historischen avantgarden zu rechnen sind... PASSATISMUS IGNORANZ PASSÉ oder beschreibt er, dass die als
eigenständig deklarierte wahl der mittel unter umständen nicht eigenständig ist, wenn
sie letztlich vorgaben des marktes & die aktuellen moden allzu genau abbildet? einer
schreibvorschrift - durch wen immer - würde ich mich als erster widersetzen. die
auseinandersetzungen p's mit einigen avancierten schreibhaltungen z.b. initiierten wir,
weil wir in deren positionen eine verkürzung, formvorschrift, zugunsten der kanonisierung
sahen.. ich denke im übrigen, ich brauche
dich nicht wirklich davon zu überzeugen, dass helmut keinen totalitären machtanspruch in
ästhetischen fragen formuliert: dafür kennt ihr euch doch eigentlich gut genug... dass
die redakteure der literaturzeitschrift perspektive die auswahl von texten, die dort
publiziert werden, nach kriterien betreibt, die das eigene selbstverständnis abbilden,
genügt hoffentlich nicht, um als totalitär zu erscheinen? um es nochmal zu sagen: es
geht nicht darum, jeglicher literatur ausserhalb von p das daseinsrecht zu bestreiten, wie
du uns offen unterstellst.. ich finde diese (schon meinem essay damals in der schreibkraft
nachgestellte) unterstellung gewagt, um sie nicht bösartig zu nennen.. OBERLÄNGEN zu fragen wäre, ob z.b.
vorstellungsbilder in entscheidungsprozessen nicht bis zum gegenwärtigen zeitpunkt von
literaturen geprägt werden (die existenz von büchern, die identitätshilfe
bereitstellen, oder uns 'xy für manager' erklären, belegt doch immerhin, dass eliten
sich nachwievor über - bedauerlicherweise die geraubten originaltexte verstümmelnde -
'literatur' zu definieren versuchen, in ihrem zeitbudget angemessenen verknappungen eben:
während die in computerspielen geschulten us-marines ja weniger zu den 'relevanten'
entscheidungsträgern westlicher gesellschaften zählen, ebensowenig wie die über die
schirme hüpfenden hiphopper, müsste mal einer den kids vielleicht sagen - auch wenn
diese kerle als exekutoren so häufig ins tv-bewusstsein geraten, als wären sie es, die
die geschichte schrieben..). eigentümlicherweise ist das
selbstverständnis unserer gesellschaften sprachlich fixiert, z.b. in verfassungen: ohne
textauslegung keine rechtswissenschaft, ohne debatten keine demokratie, ob nun
parlamentarisch oder wie auch immer formiert.. und: die anzahl von leserInnen
bestimmter formen von literatur hat sich über sehr lange zeiträume hinweg kaum
geändert: was sich aber geändert hat ist der focus des feuilletons als ergebnis eines
immensen ökonomischen drucks auf alle elemente der medienwelt: den luxus einer
contrazyklischen besprechung, des heraushebens von kollektiv obsolet erklärtem, leistet
man sich nicht mehr, weil man ihn sich nicht leisten kann (gespräche mit journalisten
ergeben dergleichen immer wieder neu - ich kenne keinen, der poplit als phänomen nicht
abscheulich gefunden hätte, aber "man kommt eben nicht dran vorbei"..
inzwischen kommt man wohl wieder... unerfreulicherweise sind es nun arrivierende deutsche
literaturwissenschaftler, die dasselbe sagen.. immer der welle hinterdrein, in der
hoffnung auf partizipation an fremdbestimmter 'relevanz' die eigene erodierend..). wenn wir aber davon ausgehen, dass
literatur als solche nicht obsolet sein wird, dann können auch alle mit ihr verbundenen
fragen nicht beiseite gelegt werden: dann müssen wir uns fragen, ob die form von
literatur, die derzeit die einzig anerkannte zu werden droht, diejenige ist, die das alles
zu leisten vermag, weshalb wir lesen lernen wollten. oder, um dein bild vom
'schrebergarten' zu kommentieren: das augenzwinkernde erzählen hat inzwischen soviele
parzellen besetzt, dass es eine restparzelle wie die von p schonmal als wettbewerbshemmend
interpretieren kann: denn nur bei ausschaltung von störgeräusch kann die position soweit
gestärkt werden, es mit den neueren medien aufnehmen zu können (behaupten alle
unternehmensberatungen).. die frage, warum du weiter literatur
produzierst, wenn du keinen fortschritt mehr in literatur siehst, sondern nur noch
schwindende relevanz, diese frage hast du allerdings nicht beantwortet: verstehtst du dich
als schlechtgefüttertes zirkustier, das alte kulturtechniken vor einem tendenziell
aliteraten publikum aufführt, bis du durch eine computeranimation namens
'schreibtanzbär' ersetzbar sein wirst? PROGRESS es gibt, wie du sicher weisst,
inzwischen auch den ersten SMS-liebesroman, & die telekommunikationsbranche hat mit
leuten wie norbert bolz werbebunnies verpflichten können, neben denen die nachfahren
konrad bayers nur verblassen können.. der blick in die programmierstuben zeigt uns
übrigens, auf welch mittelalterlichen standard personenkonzepte herabsinken können bei
ausschliesslich technischer begeisterung (was sich übrigens gerade auch an den futuristen
ablesen lässt: mit ihren antiken halbgott-phantasmen am steuer von durch ottomotore
angetriebenen fahrzeugen zu lande zu wasser und in der luft..). gerade, indem wir von den
frühen avantgarden lernen, dass die technik allein nicht den punkt macht, wohl aber den
satzbau verändert, können wir in diesen avantgarden angelegte möglichkeiten
weiterentwickeln, um dem erneuten zuschnappen von allmachtsfallen zu entgehen... (&
eben auch deshalb ist es notwendig, die ehemaligen von derzeitig avantgardistischen
bestrebungen begrifflich zu scheiden) NEOLOGISMEN AUSBLEIBEN wenns vorbei ist, sind wir alle tot -
und sterben zu gehen wünsch ich ungern wem... gruss rbk |
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