13. Juni 2025

Neo trifft Morpheus


Mich beschäftigt im Augenblick erneut diese Kuriosität, daß sich ein umlaufendes Welterklärungsmodell in hohem Maß mit einer trivialen Geschichte deckt, die aus Hollywood gekommen ist.

Lana und Lilly Wachowski schrieben das Drehbuch für „Matrix“, der Film wurde ab 1999 zu einem enormen Kino-Erfolg. Sie finden darin alle wesentlichen Elemente, die uns heute angeboten werden, um im Kontext „Deep State“ etwas über „Schlafschafe“ zu erfahren, die der „Erweckung“ bedürfen.



Morpheus (links) und Neo sind Schlüsselfiguren des Filmes „Matrix“.

Das Skript zu „Matrix“ deckt sich an vielen Stellen geradezu verblüffend detailgenau mit dem, was mir aktuell wieder angeboten wird. Zitat Eduard Krausler: „Schätze dich trotzdem glücklich, dass du ein Wolf und kein dummes Schlafschaf bist. Auch wenn es wesentlich härter ist, wach zu sein.“

Solche Exegese unserer Zustände war in den Corona-Jahren alle Tage zu bekommen. Ich habe für mich daraus das Prinzip „Begründen statt verkünden!“ abgeleitet. Es ist verlockend, einen persönlichen Aha-Effekt für jene Art der Klarheit zu halten, von der nun alle Welt erfahren müsse. Und zack! Raus damit! Social Media machen es möglich.

Kultursoziologe Andreas Reckwitz sieht das in einem Zusammenhang, der für unsere Gesellschaft in der Spätmoderne typisch sei. Man möchte etwas Besonderes sein. Er sieht unser Gemeinwesen als eine „Kulturmaschine“, die einen grundsätzlichen Bruch ausdrückt. Die „Singularisierung des Sozialen“ funktioniert unter anderem durch eine Entkopplung von Arbeitserfolg und objektivem Arbeitseinsatz. Erleuchtung genügt völlig, Weisheit fällt vom Himmel.

Auf mein Thema übertragen bedeutet das: Die Arbeit von Wissenserwerb kann als unnötige Bürde empfunden werden, auf die jemand verzichten mag. Da muß man mit Skepsis, Zweifel und Widersprüchen zurechtkommen, um aus Informationen Wissen herzustellen. Es entsteht ja keinerlei „Wahrheit“, indem man einfach die Widersprüche eliminiert. Wozu also dieser Aufwand?

Da könnte doch eine einzige ansprechende Quelle genügen, der man sich als Bote andient, als Wasserträger, als Kolporteur. (In meiner Teenagerzeit nannte man so eine Quelle zum Beispiel „Guru“.) So kann man aber ohne großen Aufwand mit den Früchten fremder Arbeit glänzen, sich selbst hervortun.

Reckwitz nennt das eine „Superstarökonomie“. Die Strategie läßt sich mit einem Bonmot zusammenfassen, das von der geistriechen Psychiaterin Heidi Kastner stammt: „Wollen sie diskutieren oder recht haben?“ (Von Kastner stammt auch der Satz „Die Dummheit schämt sich nicht“.)

Mit „Begründen statt verkünden“ meine ich, man möge die Debatte dem Schlagabtausch vorziehen. Da wäre dann auch der Dissens kein Problem. Wir können ja ohne weiteres einander widersprechende Ansichten haben, die sich als unvereinbar erweisen.

Bliebe noch die Notwendigkeit zu erwähnen, daß in Streitgesprächen die Argumente zur Sache von Argumenten zur Person unterschieden werden sollten. Sie haben ja die Wahl, ob sie mich oder meine Argumente angreifen. Daran erkenne ich, was Sie vorhaben.

+) Neo und Konsorten


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