Das Skript zu „Matrix“ deckt sich an vielen Stellen
geradezu verblüffend detailgenau mit dem, was mir
aktuell wieder angeboten wird. Zitat Eduard
Krausler:
„Schätze dich trotzdem glücklich, dass
du ein Wolf und kein dummes Schlafschaf bist. Auch
wenn es wesentlich härter ist, wach zu sein.“
Solche Exegese unserer Zustände war in den
Corona-Jahren alle Tage zu bekommen. Ich habe für
mich daraus das Prinzip „Begründen statt verkünden!“
abgeleitet. Es ist verlockend, einen persönlichen
Aha-Effekt für jene Art der Klarheit zu halten, von
der nun alle Welt erfahren müsse. Und zack! Raus
damit! Social Media machen es möglich.
Kultursoziologe Andreas Reckwitz sieht das in einem
Zusammenhang, der für unsere Gesellschaft in der
Spätmoderne typisch sei. Man möchte etwas Besonderes
sein. Er sieht unser Gemeinwesen als eine
„Kulturmaschine“, die einen grundsätzlichen
Bruch ausdrückt. Die
„Singularisierung des
Sozialen“ funktioniert unter anderem durch eine
Entkopplung von Arbeitserfolg und objektivem
Arbeitseinsatz. Erleuchtung genügt völlig, Weisheit
fällt vom Himmel.
Auf mein Thema übertragen
bedeutet das: Die Arbeit von Wissenserwerb kann als
unnötige Bürde empfunden werden, auf die jemand
verzichten mag. Da muß man mit Skepsis, Zweifel und
Widersprüchen zurechtkommen, um aus Informationen
Wissen herzustellen. Es entsteht ja keinerlei
„Wahrheit“, indem man einfach die Widersprüche
eliminiert. Wozu also dieser Aufwand?
Da
könnte doch eine einzige ansprechende Quelle
genügen, der man sich als Bote andient, als
Wasserträger, als Kolporteur. (In meiner
Teenagerzeit nannte man so eine Quelle zum Beispiel
„Guru“.) So kann man aber ohne großen Aufwand mit
den Früchten fremder Arbeit glänzen, sich selbst
hervortun.
Reckwitz nennt das eine
„Superstarökonomie“. Die Strategie läßt sich mit
einem Bonmot zusammenfassen, das von der
geistriechen Psychiaterin Heidi Kastner stammt:
„Wollen sie diskutieren oder recht haben?“ (Von
Kastner stammt auch der Satz
„Die Dummheit
schämt sich nicht“.)
Mit
„Begründen
statt verkünden“ meine ich, man möge die
Debatte dem Schlagabtausch vorziehen. Da wäre dann
auch der Dissens kein Problem. Wir können ja ohne
weiteres einander widersprechende Ansichten haben,
die sich als unvereinbar erweisen.
Bliebe
noch die Notwendigkeit zu erwähnen, daß in
Streitgesprächen die Argumente zur Sache von
Argumenten zur Person unterschieden werden sollten.
Sie haben ja die Wahl, ob sie mich oder meine
Argumente angreifen. Daran erkenne ich, was Sie
vorhaben.
+)
Neo und Konsorten