ak3: beiträge
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ak3
k
ulturelle kompetenz • medienkompetenz


 

Oliver Marchart
"Öffentlichkeit...

...als Voraussetzung demokratischer Politkultur"

 

[K1] Kulturelle und Medienkompetenz auf dem Weg zu Public Access meint auch ein wachsendes POLITISCHES Selbstverständnis ...

 

"Insanity runs in my family ... It practically gallops."
Cary Grant, Arsenic and Old Lace

Österreichs politische Kultur ist zutiefst unpolitisch. Allerdings nicht aus Zufall und nicht aufgrund eines angeblich politscheuen Nationalcharakters. Das Bild des Herrn Karl täuscht. Es kann zwar sein, daß sich die historischen Erfahrungen der Gegenreformation, des Scheiterns der bürgerlichen Revolution, des Metternichschen Spitzelsystems usw. habituell niedergeschlagen haben (und lauter Karls produziert haben). Aber auch anderswo wurden Leute unterdrückt.

Mein Punkt ist hier ein anderer: Österreichs politische Kultur ist in der Nachkriegszeit effektiv und vorsätzlich depolitisiert worden, und zwar von der Politik selbst. Um mit dem trivialsten und allseits bekanntesten Indiz zu beginnen: Österreichs Gründungsmythos, der "Mythos der Lagerstraße" versinnbildlicht die Entpolitisierung der Politik wie kein anderer: Rechts und Links, Sozialdemokratie und Christlichsoziale, die sich im Bürgerkrieg bekämpft hatten, finden nach ihrer Befreiung von den Nazis wieder zusammen und hängen den Haussegen g'rade. Das nationalsozialistische Interregnum wird zu einem Nebenarm der Geschichte. Ja sogar zu einer glücklichen Fügung, zum reinigenden Gewitter, denn es bringt die feindlichen Brüder wieder zusammen. Das KZ – die sogenannte Lagerstraße – , das in Deutschland ebenfalls den Status eines Gründungsmythos hat, aber eines negativen: als Ort der Auslöschung, wird in Österreich perverserweise zum Ort der Versöhnung, zum Ort des Handschlags der verfeindeten Brüder. So stellt sich Österreichs politisches Selbstbild der Nachkriegszeit letztlich als Familienidylle dar.

Und diese ideologische Depolitisierungsarbeit der österreichischen Politik (qua Fraternisierung) läßt sich bis heute beobachten: Andreas Khols Möchte-Gern-Wahlkampfhit der "Bürgergesellschaft" porträtiert die zivile Gesellschaft folgerichtig nicht als potentiell politischen Raum, sondern als Nachbarschaftsidylle. Der Depolitisierung des politischen Raums entspricht die gesamtösterreichische Idyllisierung und Arkadisierung ("Insel der Seligen").

So läßt sich zusammenfassen: Politik in Österreich ist – wo sie in den Eliten stattfindet – eine Angelegenheit "unter Freunden" (den sogenannten Sozialpartnern), und wo sie in der Bevölkerung stattfindet, oder in Khols Phantasien stattfinden sollte, eine "unter Nachbarn". In beiden Fällen ist sie unpolitisch. Jene exotischen Bewohner des öffentlichen Raums, die in anderen politischen Kulturen citoyens oder citizens genannt werden, sind im hiesigen politischen Imaginären nicht vorgesehen. Es besteht auch kein Bedarf, wenn politische Konflikte nicht öffentlich ausgetragen werden, sondern in demokratisch nicht legitimierten Räumen harmonisiert: nach wie vor per Handschlag. Für eine demokratische Öffentlichkeit ist dann kein Platz, wenn, wie das arkadische Selbstbild es will, die tatsächlichen politischen Entscheidungen beim Heurigen getroffen werden – der in der politischen Mythologie Österreichs nur die weinselige Verlängerung der Lagerstraße darstellt. Für ein solch trinkfestes Band zwischen Staat, Arbeit und Wirtschaft gibt es natürlich einen Namen, und der ist (Neo-)Korporatismus. Dafür ist Österreich bekannt. So wie man auf CNN immer nur dann von Österreich hören wird, wenn gerade eine Winterolympiade läuft, so wird man in der politikwissenschaftlichen Fachliteratur vor allem dann auf Österreich stoßen, wenn gerade ein Musterbeispiel für Korporatismus gegeben werden soll – oder für Rechtspopulismus.

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Dies ist ein Textauszug!
Hier der Vol
ltext als RTF-File.
(Vortrag zur Medienkonferenz 99 in Linz)


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