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Gewaltige Medien(politik?)

(Von freiwilliger und unfreiwilliger Zensur, Kriegsberichterstattung und einigen Zusammenhängen zwischen Medienpolitik und Medienpädagogik, die gerne übersehen werden.)

Von Christian Berger

 

Es herrscht Krieg. Ohne Zweifel. Es ist wohl das einzige, das wir gesichert wiedergeben können. Was wir wissen: Medien konstruieren Wirklichkeiten. Medienwirklichkeiten sind Teilausschnitte der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ragt immer über den Bildschirm, die Seite, das Foto hinaus.

Medienwirklichkeiten sind beabsichtige oder unbeabsichtigte Verzerrungen der Wirklichkeiten. Damit wachsen wir in der Informationsgesellschaft auf. Unsere Einstellungen zu politischen Entscheidungen werden nicht unwesentlich durch die mediale Information beeinflußt. Das kennen wir. Das wissen wir. Das wissen auch Militärs, Politiker, Meinungsmacher rund um die Welt. Siehe Vietnam, Golfkrieg, Wahljahre und Jugoslawien.

Was wir nicht wissen: Welche konstruierten Medienwirklichkeiten sind beabsichtigt, unbeabsichtigt? Wo werden wir manipuliert, betrogen, aufgeputscht und willfährig gemacht? Wo wird die demokratische Meinung (die Meinung der "WählerInnen") vergewaltigt und wo "nur" verleitet?

Auf ein kleines aktuelles Beispiel macht Martin Krusche (Sekretär, der virtuellen akademie nitscha) aufmerksam:

"Manfred Niederl schrieb in einer auflagenstarken Boulevardzeitung: >>Der Xy wurde von dem Schwerfahrzeug gerammt und hatte, wie er sich später im Spital erinnerte, "unwahrscheinliches Glück": Xy hielt sich wenige Zentimeter oberhalb der Stoßstange am LKW fest; in dem furchtbaren Bewußtsein, daß er jeden Moment überrollt und getötet werden könnte ...<<
Ein journalistische Konvention besagt, daß mit An- und Abführungszeichen originale Aussagen im Zitat kenntlich gemacht werden. Im Radio entspräche das der O-Ton-Passage aus einem Interview. Es meint: Realität; Authentizität. Die oben erwähnte Person Xy lag zur Zeit des Berichtes im Koma. Und selbst falls sie in der Lage gewesen wäre, sich zu erinnern und darüber zu sprechen, hätte man den Reporter Manfred Niederl wohl kaum ans Krankenbett gelassen, um solche Informationen einzuholen. Der Berichterstatter hat also schlicht gelogen. Und da ging es - inhaltlich - noch nicht einmal um eine Sache von allgemeiner Bedeutung. Die Todesnähe eines beliebigen Menschen in einem ganz banalen Verkehrsunfall ...

Hat jemand diese Falschmünzerei bestellt? Warum glauben manche Medienleute, sie hätten das Zeug, eine "realere Realität" zu kreieren? Wer möchte das und warum? Wenn schon bei so banalen Vorfällen ignoriert wird, was tatsächlich der Fall gewesen ist, wie mag mit Faktenlagen verfahren werden, wenn es beispielsweise um Macht- und Geldinteressen geht?

"Ha", rufen modernistische Internetuser, "aber uns kann Mensch nicht so leicht hinters Licht führen! Durchs Internet kommen wir zu den authentischen Informationen!" Ja, selbstverständlich kann ich hier aus einer Vielzahl von Webseiten Informationen beziehen. (Kleine Anmerkung am Rande: Im Gemeinde - Wien - Netz gilt dies nur für Texte und Fotos, denn das Tool Real-Audio zur Übertragung von Tondokumenten wurde zentral weggeschaltet.)

Kleine Kostprobe aus dem Internet zum Thema Jugoslawien:
http://www.b92.net/helpb92.xs4all.nl/index1.html
http://www.osce.org/e/kosovo.htm
http://www.raf.mod.uk/news/kosovonews.html
http://www.bundeswehr.de/kosovo/index.htm
http://www.gov.yu/kosovo
http://www.serbia-info.com
http://www.tanjug.co.yu
http://www.kosovo.com
http://esc.mur.at

Und das ist nur die Oberfläche. Wer hinter den Seiten steht ist nicht immer so klar erkennbar, wie in den oben angeführten Beispielen. Übrigens: unter RAF findet Mensch nicht die bereits aufgelöste deutsche Terrortruppe, sondern die britische Royal Airforce. Wargames included. Im Prinzip ist es jedem Menschen, der Homepages programmieren kann, eine Leichtigkeit irgendeinen Schwachsinn gepaart mit ein paar Fotos ins Netz zu stellen. Wahrheitsgehalt kaum überprüfbar. Sie erinnern sich an ein Hörspiel von Orson Wells?

Eines ist aber schon klar, durch das Zusammenwachsen der Medien (TV,Radio,Print,Internet) wird die Übernahme von Texten, Fotos, Videos zur Spielerei. Ebenso wie die Veränderung und Manipulation. Schwerer wird dabei der Nachweis. Die mediale Kriegsführung aller Seiten wirkt täglich auf unseren Fernsehgeräten, Zeitungen, Plakaten, Radiosendungen. Nicht umsonst gibt es auf allen Kriegsseiten eigene Informationseinheiten, deren Gewicht jenen der traditionell kämpfenden Truppeneinheiten bald gleichkommt.

Ich überlasse es den LeserInnen, ZuschauerInnen, HörerInnen eigenständige Urteile zu fällen. B92 – der letzte unabhängige und kriegskritische Radiosender aus Belgrad beendet seine Webpage – die Radioübertragungen mußten längst eingestellt werden - mit einer Aufforderung, die wir wohl alle berücksichtigen sollten: Remember our slogan: "Trust no one not even us...but keep the faith!"

Eh klar! Aber was hat den diese Medienpolitik mit der Schule, dem Unterricht zu tun? Was hat das Mediengesetz in Österreich mit den SchülerInnen zu tun? Nun, vielleicht lohnt es sich, dass LehrerInnen ein wenig mehr Bescheid wissen, wer denn unsere mediale Wirklichkeit produziert, wie denn das so in der Praxis vor sich geht. Das Zusammenspiel von Medien und Politik ist evident. Philosophische Fragen wie "Ist ein Haus wirklich eingestürzt, wenn es nicht in den Nachrichten gezeigt wird?" gewinnen gerade in den heutigen Tagen immens an Praxis. "Gibt es eine politische Lösung der Jugoslawienkrise, jenseits von Vertreibung und Bombardement, wenn diese Lösungsansätze nicht in den Medien transportiert werden?"

Es wird viel daran gesetzt, diese politische Diskussion aus der Schule draußen zu halten. Das Thema: Jugoslawienkrieg wird wohl oft Inhalt des Unterrichts sein. Und woher, frage ich Sie, kommen die Informationen, die an unsere Kinder weitergeleitet werden?

Medienpädagogik hat sich mit Fragen zu beschäftigen wie: Kann ein Medium das Lernen effektiver machen? Wie kann ich die Kinder von zuviel Fernsehen abhalten? Gewalt in den Medien?

Herauskommen dann Kreuzchen auf den Bildschirmen ab 22.00 Uhr, als ob jene Kinder, die zu diesem Zeitpunkt noch fernsehen, Eltern haben, die die Kreuzchen berücksichtigen. Ich bezeichne das als Verschleierungs- und Ablenkungspolitik. Der Fernsehhit bei Kindern ist "Heidi". Nur ca. 2,5% der Kinder sehen regelmäßig Sendungen mit gewalttätigen Inhalten. Das bedeutet, dass 97,5% der Kinder bereits selbstbestimmt andere Inhalte auswählen. Die mediale Diskussion konstruiert aber eine andere Gewichtung allein durch das Herausheben von einzelnen Ereignissen. An zwei Schulen wurden durch amoklaufende, gewalttätige Jugendliche Tragödien ausgelöst.

Die mediale Frage ist nicht: Wie gibt es das, dass Waffen in Haushalten sind? Oder was hat dazu geführt, dass es zu solchen Aktionen kam? Die Frage lautet: Sind unsere Kinder (Mensch beachte die Verallgemeinerung!!) gewalttätiger geworden? Oder die Feststellung: " Die Gewalt an den Schulen nimmt zu!" Die Diskussion über Gewalt in den Medien ähnelt der Drogendiskussion. Viel Lärm um Heroin vermeidet eine effektive Diskussion über den Alkoholismus im Land.

Wissen wir denn, was von den "seriösen" Medien an Informationen NICHT gebracht wird. WAS WIRD ALLES WEGGELASSEN? Was erfahren wir erst in ein paar Monaten, wenn bereits vollendete Tatsachen geschaffen wurden?

Medienpädagogik ist aber Politische Erziehung. In allen Fächern, in allen Projekten, im Alltag. Den Zusammenhang Medienarbeit und Erziehung zur Medien-Demokratie auszublenden, bedeutet Erziehung zur Blindheit und Taubheit zu forcieren. Medienkompetenz – und als Teil davon ist auch die Fähigkeit mediale Wirklichkeiten als solche zu erkennen und entsprechend zu decodieren – ist heute eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben, Rechnen. Wer das negiert wird vom Leben bestraft. Dies ist keine Neuigkeit. Siehe zuletzt – auszugsweise: 1914, 1918, 1934, 1938, 1945, 1967, 1986, 1997,1999,...

Remember our slogan: "Trust no one not even us... but keep the faith!" (B92)

christian berger
medienpädagogischer referent
der landesbildstelle wien
ber-lbw@m13.magwien.gv.at
obmann von "radio aufdraht" - dem freien radio in krems/unteres kamptal
schloßstraße 50/4
3550 gobelsburg
chb@wvnet.at


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