8. August 2011

Was bewegt Menschen letztlich, eine ausschließliche Orientierung auf Eigennutz zu meiden und sozialere Konzepte zu verfolgen? Das ist mir eigentlich ein Rätsel. Ich kann es mir im Grunde nur so erklären, daß positive Erfahrungen mit gemeinnützigen Orientierungen zu kleinen Nischen führen, die zu wachsen vermögen.

Wie meist unsere Kinder es mit uns halten, dürfte allgemein gelten, daß große Proklamationen wenig wiegen, aber wie jemand handelt, das zählt. Die Marktschreierei ist natürlich eine beliebte Übung. Das Verhältnis zwischen Sein und Schein ist Anlaß für ausgewachsene Kultursysteme, in denen vielfältige Talente gefordert werden.

Ich dachte mir am Wochenende angesichts eines Zeitungs-Covers: "Geht's noch?" Da stand groß aufgemacht neben dem markanten Gesicht von Opernsängerin Anna Netrebko:

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Die Musik sei das "alles Überstrahlende auf dieser Welt. Unsereiner ist nur Diener." (Quelle: "Kleine Zeitung") Genau! Mit der Einstellung wird man zum Weltstar in einer der zickigsten Branchen, die überdies während wenigstens der letzten 15 Jahre brutale Gewinneinbrüche erfahren hat, dem Business mit der klassischen Musik.

Solcher Propaganda-Schwampf läßt erahnen, worum es ganz wesentlich in diesem Business geht. Über das hoch subventionierte Inszenieren solcher Geschäfte inszeniert sich eine gesellschaftliche Funktionselite, die während des 20. Jahrhunderts zwar viel an Glanz und Nimbus eingebüßt, aber an Geldvermögen gewonnen hat. Damit meine ich, man muß einen Kulturbetrieb a la Gründerzeit mittragen, sich darin zeigen, wenn man zu diesen Funktionseliten zählen möchte. Also auch "Werte", die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem kulturellen "Wertesystem" montiert wurden. Es ist eine Code- und Statusfrage.

Ein bürgerlicher Kulturbetrieb, nie als Massenereignis gedacht, weil er ja -- basierend auf Massenelend -- blühte, der als Maß vieler Dinge vorgeführt wird, geht in diesen Dingen natürlich auf Nummer sicher.

Dazu gehört der Glanz der Diva, die dann auch schon mal, beschwingt von ihrer "slawischen Seele", barfuß auf einem Tisch tanzt, so sind eben die Russinnen. Die lächerliche Geste der Ergebenheit, wie sie vom Cover winkt, ist eine Referenz an den Geschmack des maßgeblichen Teils ihres Klientels.

Ich bestreite ja nicht, daß man zur Musik eine so geordnete Beziehung haben kann. Aber dieses gefällige, klischeehafte Geschwätz finde ich ärgerlich. Der Titel des Interviews ist verräterisch: "Wir müssen mehr in uns hineinhören" [Quelle] Was für eine Phrase von einem Günstling der Reichen und derer, die es gerne wären. Im Grunde erfahre ich aus dem ganzen Text nichts über die Kunst und nichts über die Welt. Das komplette Interview könnte auch von verfügbarer Software aus einem Pool von Texten herausgestanzt worden sein. Das leistet EDV heute locker.

Es dominiert also ein Kulturbegriff, dem sogar jene zustimmen würden, die sich ihm gar nicht anschließen, weil es ihnen grundsätzlich suspekt erscheint, einen Kulturbegriff zu haben. Die Nachfahren von Dienstboten und Keuschlern, die Urenkel der vormaligen Untertanen haben natürlich das Verbeugen noch in sich und ahnen, daß ihnen eine allgemeine Teilhabe am kulturellen Leben einer Gesellschaft eigentlich nicht zugedacht ist, weil das über hunderte Generationen der Herrschaft vorbehalten war.

Bildung? Reflexionsvermögen? Verfeinerter Geschmack? Ausdruck? Kommunikationsvermögen und Definitionsmacht? Nein, das ist nicht für alle gedacht. Da nun die Befassung mit Kunst diesen Bereichen so puristisch gewidmet ist wie kaum ein anderes Genre, haben es die Untertanen selbst übernommen, die Skepsis gegenüber der Befassung mit Kunst hochzuhalten. Dazu fügt sich eine derartige Kulturberichterstattung höchst manierlich.

Aber vielleicht sollten wir doch auch darüber reden, ob und wie eine Massengesellschaft sich kulturell mehr erschließt, als bloß Ramsch, Kolportage und Geschwätz.

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