11. Februar 2014

Kontinuitäten. Das interessiert mich. Der historische Faschismus war wie ein Brennglas, um einige unerer übelsten Eigenschaften über das Faßbare hinaus zu fokussieren. Erst in der Betrachung der Verläufe und nicht in knappen Skizzen wird begreiflich, womit wir es da zu tun ahben.

Wie im gestrigen Eintrag angedeutet, die aktuellen Unruhen in Bosnien und Herzegowina könnten uns darauf hinweisen, daß deren Vorgeschichte Gelegenheit bieten, einige der Mechanismus näher zu betrachten, die unsere Leute ein paar Jahrzehnte früher schon in Gang gesetzt hatten, um auf Kosten anderer Menschen Vorteile zu erringen.

Darin hatte der Faschismus massive Vorbedingungen, die ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts in sehr greifbare Kontinuitäten mündeten.

Bosnien und Herzegowina, wie passend! Wir sind dieser Region historisch schon weit länger verbunden; und zwar genau in den "Vorübungen", die dann unter anderem zum historischen Faschismus geführt haben, von dem ich hier ja im Kern erzähle.

Das habsburgische Österreich war zwar ein Weltreich, aber keine Kolonialmacht in der Art Englands, Spaniens etc. Die Habsburger wie die Hohenzollern wollten darin etwas aufholen, was ein paar wesentliche Motive für den Großen Krieg lieferte.

Deutschland machte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen entscheidenden Schritt, ohne den man im Chor der Kolonialmächte keine Stimme, nicht einmal ein Stimmchen erheben konnte. Es baute in Rekordzeit eine enorme Hochseeflotte auf ("Tirpitz-Plan").

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Das Großlinienschuiff "Helgoland" (Illustration aus "The Royal Navy's Official Guide...")

Kein entsprechender Auftritt auf den Weltmeeren, keine nennenswerten Chancen im Kolonialgeschäft. Österreich blieb ohne vergleichsweise logistische Ausstattung, mußte daher seine kolonialen Ambitionen auf kürzere Distanz und quasi zu Fuß realisieren. Also vorerst in Bosnien und Herzegowina.

Ich habe schon erwähnt, daß man darangegangen war, sich die südslawischen Leute völlig bedenken- und gewissenlos zu unterwerfen. Der adelige Dr. Josef Neupauer gestattet sich selbst in seiner Schrift "Viribus unitis: Wie könnte die europäische Cultur nach Bosnien verpflanzt werden?" die Enteignung der bosnischen Leute zugunsten einer Firma, die er zynischerweise "Zadruga" nannte:

"Es wird eine Actiengesellschaft mit einem Actiencapitale von 30 Millionen Gulden unter der Firma »Zadruga« mit dem Sitze in Wien gebildet..."

Zadruga ist das südslawische Wort für Genossenschaft. Das "Rechtsgutachten" für seinen Rabzug lieferte er gleich selbst:

"Vom gesetzlichen Standpunkte ist die Concessionirung sicherlich statthaft, da die Expropriation in allen modernen Gesetzgebungen gestattet ist, wo das öffentliche Interesse in Frage kommt." Dieses öffentliche Interesse formulierte er folgendermaßen:

"Das öffentliche Interesse ist aber offenbar und handgreiflich vorhanden, wenn durch obige Einrichtungen das Wohl von Hunderttausenden von Menschen, die materielle und geistige Cultur und die Wohlfahrt im Lande gehoben werden kann, wenn sie ein Mittel ist, die masslose Ausbeutung der Arbeit durch das Capital, die moralische und physische Verderbniss der Bewohner des von der Expropriation getroffenen Gebietes hintanzuhalten und andere Theile des Landes von gefährlichen Elementen zu reinigen."

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Dr. Josef Neupauers 1884er Exempel der Menschenverachtung

Josef Ritter von Neupauer, ein Marxist? Na, sicher nicht! Aber selbstverständlich einer der Wegbereiter des Faschismus, weil er rassistische Motive zur "Wohltat" für die drechselte, die er berauben wollte. So tritt der "Herrenmensch" auf, der sich über andere erhebt. Und was er als Wohltat herausstellt, ist kaum verhüllter Eigennutz.

"Es ist Bosnien noch ein von der Cultur nicht belecktes Land", meinte der Herrenmensch im Jahre 1884 und wollte also Segnungen der Zivilisation bringen, denn:"Die Einwohner werden sich dann erst als Menschen fühlen können."

Hier noch extra ein paar ausführlichere Neupauer-Zitate, die illustrieren, aus welchen Quellen später die Faschisten für ihre Konzepte schöpfen konnten. Erfinden brauchten die Nazi kaum etwas, sie bedienten sich im schon etablierten Supermarkt der Menschenverachtung:

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Zurück zur jüngeren Vergangenheit. Als Teil des versunkenen Jugoslawien war das ursprünglich agrarische Bosnien nicht mit Wohlstand gesegnet. Die gezielte Industrialisierung einiger Landesteile, die Stärkung des urbanen Lebens, Alphabetisierungskampagnen, was immer nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht werden konnte, ist heute wieder verspielt.

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Die ethnischen Konflikte des Landes konnten, wie das in der Geschichte Europas reiche Beispiele hat, ab 1992 in erschreckendem Tempo forciert und schließlich in Bluttaten übersetzt werden.

Wir alle haben uns seitdem weder genau ansehen wollen, welche Rolle dabei politische Eliten und diverse Medien gespielt haben, noch haben wir uns Rechenschaft gegeben, was europäische Interventions-Truppen alles getan und unterlassen haben.

Ich meine politische Eliten und diverse Medien nicht bloß der südslawischen Leute, sondern ganz Europas. Das sollte uns derzeit alles nichts angehen, wenn Bosnien-Herzegowina heute über seinen ungelösten Problemen massive Unruhen erlebt?

Wer das meint, zeigt sich nicht nur hearblassend, sondern auch ignorant gegenüber unseren eigenen historischen Erfahrungen.

Was uns zu tun bleibt? Na, mindestens etwas Kraft und Zeit aufbringen, um sich über diese Region serös zu informieren. Ich rate dabei gerne, blasierte Mitteleuropäer wie etwa Christian Wehrschütz zu meiden. Allein diese ewig abschätzigen Töne disqualifizieren ihn als empfehlenswerte Quelle. So lese ich auf seiner Website momentan als ersten Satz:

„Wehrschütz ist davon überzeugt, dass der Balkan der entscheidende Testfall für die EU ist und bleiben wird. Die Union wird beweisen müssen, dass sie ihren „Hinterhof“ befrieden kann, wenn sie ein wirklicher außenpolitischer Faktor in der Welt sein will.“ Quelle: Link

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Was heißt denn „Hinterhof“? Wer glaubt der Mann zu sein und von wo aus meint er über diese region zu schreiben? Das sind die Echos einer Herrenmenschen-Mentalität.

P.S.:
Unter den Publizisten ziehe ich Norbert Mappes-Niediek [link] und Gregor Mayer [link] vor. Wer sich in die historischen Kräfstepiele des Balkans ein wenig vertiefen möchte, um eine klarere Votstellung zu gewinnen, was unsere Nachbarn über längere Zeit zu bewältigen hatten, ist bei Historiker Karl Kaser [link] sehr gut aufgehoben.

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