27. September 2017

Da kursierte kürzlich auf Facebook eine Grafik aus der Comic-Serie Peanuts. Der nachdenklich wirkende Linus sagt zu Lucy, während er in ein Buch starrt: "Um herauszufinden, wer über dich herrscht, finde einfach heraus, wen du nicht kritisieren darfst."

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Das ist ein nützlicher Hinweis. Die Wahlkampf-Phasen in Deutschland und nun auch in Österreich bieten eindrucksvolle Erfahrungen, wo wir in diesen Dingen stehen. Haben wir wenigstens einigermaßen Konsens, welche Kategorien sich dabei zeigen? Welche Erfahrungen dürfen wir den mitbringen, was einen klaren und harten kritischen Diskurs angeht? Wo hätten wir ihn üben können?

Als dieser Tage Deutschland die AfD als drittstärkste Kraft im Parlament erhielt, ging nicht bloß ein Raunen durch mein Umfeld. Europas öffentlicher Rechtsruck schreitet voran und wir dürfen auch in Österreich damit rechnen, daß es im Oktober ähnlich vorangeht.

Ich mache mir da keine Illusionen. Es regt mich auch nicht auf. Es kam in aller Ruhe daher, weder verborgen, noch überraschend. Das meiste, was ich in meinem Umfeld derzeit als Reaktion erlebe, ist Gezänk und Polemik. Mit solcher "Politik der Gefühle" (© Josef Haslinger) kann man an präfaschistischen Zuständen nichts ausrichten, weil die selbst das zentrale Reich einer "Politik der Gefühle" sind.

Betrachte ich bloß die letzten paar Jahre und meine individuellen Erfahrungen mit dem öffentlichen Vertreten einer jeweils detailliert begründeten Kritik, besagt das Fazit: Wurde abgeschafft. Ich bin auf den Kulturbereich konzentriert und auf meinen engeren Lebensraum, die Region, in der ich lebe. Ich äußere mich als Autor und via Medien nur zu Themen, mit denen ich mich ausführlich befaßt habe, auch wenn mich andere Themen gleichermaßen berühren, bewegen. (Wozu ich ohne einigermaßen fundierte Ansichten bin, publiziere ich nichts.)

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Das hat inzwischen offenbar wenigstens zwei provokante Aspekte, die von Menschen deutlich als störend markiert werden:
1) Wissenserwerb, um einen Standpunkt einnehmen zu können, der sich auch gegen Einwände mit Argumenten vertreten läßt.
2) Das Publizieren von begründeter Kritik. (Randbemerkung: Beides ist mit einem Arbeitsaufwand verbunden, der sich umgehen läßt, wenn man sich auf Rotzen und Stänkern beschränkt.)

Meine Notiz vom 25.9.2017 ("die träne quillt, die erde hat mich wieder") zum weiteren Rechtsruck Europas endet mit dem Satz: "wenn nun gilt, 'freiheit macht arbeit', sollte ich nicht erklären müssen, was alles zu tun ist." Dazu rechne ich das Engagement für ein Klima, in dem der Zustand der Res publica öffentlich verhandelt werden kann. Öffentlich!

Meine Erfahrungen bestätigen das in der jüngeren Vergangenheit aber nicht. Was sich medial manifestiert, was als Darstellung bleibend werden will, wird von Hofberichterstattung und Schönfärberei dominiert.

Als ich vor einigen Jahren kritisiert habe, wie die Verwaltung in unserer Region den kulturellen und kulturpolitsichen Status darstellt, der Presse vermittelt, hatte ich zuerst eine aufgebracht Regionalmanagerin am Hals, in der Folge eine Besprechung mit ihr und drei Bürgermeistern. Auf meine Kritik wurde in keinem Punkt eingegangen, der Tenor besagte, ich solle in eine heikle Phase keine Unruhe bringen. Muß ich nun annehmen, daß dieser strikte Modus bei einem Thema wie Kultur auch auf wesentlich härtere Bedingungen schließen läßt, wenn es um brisanterer Bereiche des Gemeinwesens geht?

Wo Funktionstragende unserer Republik keine Kritik hören möchten, wo sie sich begründeten Einwänden nicht widmen wollen, geht die Gesellschaft Schritt um Schritt nach rechts. Wer das ignoriert, reiht sich Schritt um Schritt bei den Totengräbern der Demokratie ein.

Jüngst habe ich in meiner Gegend ein geradezu gespenstisches kulturpolitisches Ereignis erlebt, das sich im Sitzungssaal des Gemeinderates ereignete; siehe den Eintrag vom 22.9.2017! Dabei wurde ein Glanzstück von Hagiographie produziert. Beim Verlassen des Saales hörte ich von einer vertrauten Person murmelnd, meine Einwände seien "sehr verallgemeinernd", wovon freilich keine Rede sein kann, denn wenn ich mich äußere, dann sehr im Detail, auch bezogen auf die konkret handelnden Personen.

Das hinterher eher augenzwinkernd noch der Hinweis kam, es sei bei uns nicht üblich, die Hand zu beißen, die einen füttere, ist aufschlußreich. Ich halte fest: Einen offenen, kritischen Diskurs über Kulturpolitik in der Provinz führen wir nicht. Ich habe, nebenbei bemerk, in den letzten 30 Jahren auch noch nie erlebt, daß jemand aus der Regionalpolitik sich von Kunst- und Kulturschaffenden eine "Beratung" gewünscht hätte.

Gleichwohl habe ich seit Jahren mit Bürgermeistern zu tun, die sich auf kulturelle Experimente einlassen und sich als relevante Kooperationspartner in einzelnen Vorhaben erweisen. Das reicht bis in die Gegenwart. Aber Beratung der Politik durch Kulturschaffende? Nein, das kommt nicht vor.

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Nun zielt die jüngste Initiative der IG Kultur Steiermark darauf, für eben diese politisch relevanten Kreise der Regionalentwicklung ein "nicht stimmberechtigtes Mitglied in beratender Funktion" zu installieren: [Quelle] Das kommt in einer Situation, wo wir nicht einmal unter uns, also "branchenintern", mit solchen Kategorien etwas anzufangen wissen, nämlich: kritischer Diskurs und Beratung.

Das Promotion-Foto zur IG-Initiative "Kultur am Land" stammt übrigens von Helmut Rabel, kommt also aus dem Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing; beziehungsweise aus dessen unmittelbarem Umfeld; siehe: [link] Ich halte das für einen problematischen Auftritt der Quasi.-Gewerkschaft autonomer Kulturinitiativen. Aber was will ich nun?

Deutschland hat gewählt und erlebt nun eine drittstärkste politische Kraft, zu der auffallend viele Funktionstragende gehören, die präfaschistische Aussagen verbreiten und manches äußern, was als nazistisch qualifiziert werden muß. Österreich wählt demnächst und es darf derzeit an einem weiteren Rechtsruck der Regierung nicht gezweifelt werden. Das zu beklagen ist vollkommen müßig.

Ich möchte Teil eines Kulturgeschehens sein, das nicht auf Symbolpolitik und leere Gesten gestützt ist, bei dem über kritische Diskurse geprüft werden kann, wo der Betrieb angekommen ist, derzeit steht.

Ich möchte Teil eines Kulturgeschehens sein, in dem wir nun einmal nach Kräften zu klären versuchen, was denn für die nahe Zukunft wichtige FRAGEN seien. Ich denke, das kann nur gelingen, wenn wir zu tauglichen Befunden des Status quo kommen.

Ich meine, dazu gehört auch, daß wir unsere Begriffe überprüfen, weil sonst eine sinnvolle Verständigung nicht möglich ist. Dazu ferner erneut die Betonung: Vernetzung ist kein Inhalt, sondern ein Werkzeug. Siehe dazu mein kleines oststeirisches Vernetzungsprotokoll, das die letzten 20 Jahre umfaßt: [link]

Heimo Müller und Selman Trtovac haben für unser heuriges Kunstsymposion das Thema "Landkarte der Angst, Zuversicht" eingeführt. Dem wird die Albersdorfer Session gewidmet sein. Das gliedert sich in zwei Teile. Ein Round Table mit einem Arbeitsgespräch der engeren Community und anderntags eine erweiterte kulturpolitische Gesprächsrunde; siehe: [link]

-- [Kulturpolitik] --

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